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Borst, Arno; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1989, 1. Abhandlung): Astrolab und Klosterreform an der Jahrtausendwende: vorgetragen am 11. Februar 1989 — Heidelberg: Winter, 1989

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https://doi.org/10.11588/diglit.48156#0079
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Astrolab und Klosterreform an der Jahrtausendwende

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nehme an, daß der Prolog an ihrem verlorenen Anfang vor der
Bauanleitung stand. Mit der weltlichen Neugierde Gerberts ordnete
das Lehrbuch die aus Reims und Barcelona ankommende Literatur
zum Astrolab in Abbos geistliche Philosophie ein.
Exakt beweisen kann ich es nicht, aber alle Indizien sprechen dafür,
daß das erste lateinische Lehrbuch zum Astrolab im Kreis um
Konstantin von Fleury entstand, gegen 995, kurz vor Berns Heimkehr
und längere Zeit vor Abbos Tod. Daß Konstantin oder Bern selbst es
verfaßt hätten, ist ganz unwahrscheinlich. Zwar arbeiteten beide in
Fleury an astronomischen Handschriften, aber ihr Latein war klassi-
scher und musischer als das unseres Autors, der wohl keinen klingen-
den Namen besaß oder erwarb.
Seinen Versuch einer systematischen Zusammenfassung wiederholte
in Fleury niemand. Da die Welt fortbestand, als wäre nichts gewesen,
fanden sich die Überlebenden mit der alten Unübersichtlichkeit bald
wieder ab und stellten getrennte Traktate in zufälliger Auswahl
zusammen.120 Trotzdem scheint man das Lehrbuch, wenigstens seine
Vorlagen, in Fleury aufbewahrt zu haben. Denn eine Sammelhand-
schrift zur Astrolabliteratur, gegen Ende des 11. Jahrhunderts im
Nachbarkloster Micy angelegt, brachte zwar nicht den Prolog, auch
keine Kapitelgliederung mehr, aber Auszüge aus allen drei Schriften,
die sich im Konstanzer Fragment begegnet waren, zudem mit Lesarten,
die nur dort ebenso standen.121
Allzuviel besagte das nicht mehr. Die Zukunft der Sternkunde und
der Zeitrechnung schien der routinierten Einzelforschung zu gehören.
Nur an einer Stelle klang die Aufregung der Jahrtausendwende noch
eine Weile nach: in der Abtei Reichenau.

120 Dieses neue Stadium, unter anderem durch die in Anm. 119 genannten
Handschriften repräsentiert, wurde von Vyver, Traductions S. 275-284; Berg-
mann, Innovationen S. 66-95 analysiert, freilich für das ursprüngliche gehalten.
Das Konstanzer Fragment legt eine ältere Stufe frei.
121 Biblioteca Apostolica Vaticana, Codex Reginensis latinus 598; Inhaltsübersicht
bei Bergmann, Innovationen S. 245 f. Die Schlüsselrolle des Manuskripts ist bei
Bergmann, Traktat S. 88-95 erkannt, seine Beziehung zu Hermann verfehlt;
berichtigend Borst, Zahlenkampfspiel S. 84, 93, 293 f. Um die Verwandtschaft
der Handschrift mit dem Konstanzer Fragment nachzuweisen, notiere ich ihre
Lesarten in dessen anschließender Ausgabe.
 
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