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Borst, Arno; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1989, 1. Abhandlung): Astrolab und Klosterreform an der Jahrtausendwende: vorgetragen am 11. Februar 1989 — Heidelberg: Winter, 1989

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https://doi.org/10.11588/diglit.48156#0083
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Astrolab und Klosterreform an der Jahrtausendwende

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leuchtender Stern den Weg zur Krippe nach Bethlehem gewiesen habe,
nicht etwa der Zahn eines astrolapsus. Wie Ekkehards Glosse erläu-
terte, hatte König Ptolemaios diese Zähne des Astrolabs (die Stern-
marken der Spinne) für die magica ars erfunden. Nur ein kleiner Teil
des Geräts, die Rückseite mit Schattenquadrat und gebogenen Stun-
denlinien, war durch das Alte Testament geheiligt und unbefleckt von
astrologischem Trug.127
Ekkehard kannte also das neumodische Instrument, in modernster
Ausführung, vom Augenschein, viel genauer als Ragimbold; er hielt
sich aber das Werkzeug heidnischer Magie energisch vom Leib. Nicht
zufällig schwang er sich nachher, als Geschichtsschreiber seines
Klosters, zum Sprecher der traditionalistischen Mönche von St. Gallen
auf. Sie wollten ihre alterprobte großzügige Lebensform behaupten,
die grandiose Gestalten hervorgebracht hatte, und verweigerten sich
der peniblen und farblosen Klosterreform, infolgedessen auch der
exakten Wissenschaft von der Zeit.128
Besonders bestechend wirkte die Brillanz irdischer Macht, die vom
Astrolab ausging; sie blendete auch Geistliche, die es weder als
Zeitrechner noch als Sterndeuter bedienten. Davor warnte der italie-
nische Kirchenreformer Petrus Damiani in einer brieflichen Predigt
nach 1060. In der vorigen Generation hätten manche ihr Seelenheil den
weltlichen Studien geopfert. Ein Kleriker namens Hugo aus Parma sei
beim Studium so vom Ehrgeiz gepackt worden, daß er sich ein Astrolab
aus reinstem Silber besorgt habe (wohl aus dem islamischen Spanien).
Offenbar gedachte Hugo es nicht zu benutzen, denn er überreichte es
dem deutschen Kaiser Konrad II. Mit diesem materiellen Wert
erkaufte sich der Simonist die Aufnahme in die kaiserliche Hofkapelle
und hoffte gar noch Bischof zu werden. Doch schon auf der Heimkehr

127 Ekkehard IV. von St. Gallen, Benedictiones super lectores per circulum anni
VII, 67 mit Glosse, hg. von Johannes Egli, Der Liber Benedictionum Ekkehards
IV. (Mitteilungen zur vaterländischen Geschichte ... in St. Gallen Folge IV Bd.
31,1909) S. 49; zum Schattenquadrat als Teil des Astrolabs auch XXVI, 119 mit
Glosse, ebd. S. 147. Zur zweiten Stelle Zinner, Instrumente S. 51 f.; die erste
wurde bisher nicht herangezogen.
128 Zum Gesamtwerk Hans F. Haefele, Ekkehard IV. von St. Gallen, in:
Verfasserlexikon Bd. 2 (1980) Sp. 455-465. Walter Berschin, Eremus und
Insula. St. Gallen und die Reichenau im Mittelalter. Modell einer lateinischen
Literaturlandschaft (1987) S. 49, 67 f. bemerkt zwar, daß St. Gallen von der
europäischen ‘Wissenschaftsbewegung’ langsamer als die Reichenau erfaßt
wurde, aber nicht, daß diese Verzögerung auf die Abwehr der Klosterreform in
St. Gallen zurückging. Dazu Borst, Computus S. 32.
 
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