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Arno Borst
der Natur, auch die Handhabung des Astrolabs rückte an die Periphe-
rie, als Beschäftigung für die Beschränkten.157
Waren sie nicht obendrein böse? Den Bund zwischen Sternkunde
und Sittlichkeit kündigte seit 1120 auch der englische Benediktiner
Wilhelm von Malmesbury, nicht wie Abaelard aus philosophischen,
sondern aus religiösen Motiven. Er schrieb eine Geschichte von
Englands Königen, weil historische Beispiele den Besinnlichen zum
ethischen Leben anhielten, und schilderte als besonders abschrecken-
den Fall Gerbert von Aurillac. Der vermeintliche Zögling von Fleury
habe bei den Sarazenen in Sevilla in astrolabio sogar Ptolemaios, als
Wahrsager Firmicus Maternus übertrumpft.
Wilhelm hielt wohl den Abacus, einen weiteren Import Gerberts aus
Spanien, für nützlich, denn die Rechenkunst half bei der kirchlichen
Zeitrechnung so gut wie bei der königlichen Verwaltung. Doch das
Astrolab erschien ihm als Anstiftung des Ptolemaios zu astrologischem
Unfug. Daß der christliche Papst dieses Satanswerkzeug besser als
jeder antike Heide beherrschte, war Fortschritt in die falsche Richtung,
kostete den Täter sein Seelenheil und verleidete jedem Leser verwand-
te Gelüste.158
Doch so leicht ließen sich Sternkunde und Zeitrechnung nicht
auseinanderdividieren und aus dem Kreis heilsfördernden Wissens
eliminieren. Der eigenwilligste Autor des Jahrhunderts, Honorius
Augustodunensis, ein wohl aus Irland stammender, in England und
Frankreich tätiger, in Deutschland zur Ruhe kommender Lehrer,
Seelsorger und Mönch, bemühte sich zwar um die Ausübung beider
157 Carmen ad Astralabium filium, hg. von Barthelemy Haureau, Le poeme adresse
par Abelard ä son fils Astralabe, Notices et extraits des manuscrits de la
Bibliotheque Nationale Bd. 34/2 (1895) S. 153-187, hier S. 157 Mond und Sonne,
S. 184 Natur und Philosophie. Zu Abaelards Sprachdenken Verf.. Der Turmbau
von Babel. Geschichte der Meinungen über Ursprung und Vielfalt der Sprachen
und Völker, Bd. 2/2 (1959) S. 631-635. Zum Namen Astralabius, den schon
Zeitgenossen Astrolabius schrieben, Mariateresa Fumagalli, Heloise und Abae-
lard (1986) S. 80, mit irriger Einstufung des Astrolabs. Zu Abaelards Zeitdeu-
tung Borst, Computus S. 41—43; zur Geringschätzung der Mathematik Borst,
Zahlenkampfspiel S. 212-214.
158 Wilhelm von Malmesbury, De gestis regum Anglorum II. 167, hg. von William
Stubbs (Rerum Britannicarum medii aevi scriptores Bd. 90/1, 1887) S. 193-195.
Zu seiner Geschichtsauffassung Hans-Werner Goetz, Die ‘Geschichte’ im
Wissenschaftssystem des Mittelalters, in: Franz-Josef Schmale, Funktion und
Formen mittelalterlicher Geschichtsschreibung. Eine Einführung (1985) S.
165-213, hier S. 176. Zum Zahlenverständnis Borst, Computus S. 40.
Arno Borst
der Natur, auch die Handhabung des Astrolabs rückte an die Periphe-
rie, als Beschäftigung für die Beschränkten.157
Waren sie nicht obendrein böse? Den Bund zwischen Sternkunde
und Sittlichkeit kündigte seit 1120 auch der englische Benediktiner
Wilhelm von Malmesbury, nicht wie Abaelard aus philosophischen,
sondern aus religiösen Motiven. Er schrieb eine Geschichte von
Englands Königen, weil historische Beispiele den Besinnlichen zum
ethischen Leben anhielten, und schilderte als besonders abschrecken-
den Fall Gerbert von Aurillac. Der vermeintliche Zögling von Fleury
habe bei den Sarazenen in Sevilla in astrolabio sogar Ptolemaios, als
Wahrsager Firmicus Maternus übertrumpft.
Wilhelm hielt wohl den Abacus, einen weiteren Import Gerberts aus
Spanien, für nützlich, denn die Rechenkunst half bei der kirchlichen
Zeitrechnung so gut wie bei der königlichen Verwaltung. Doch das
Astrolab erschien ihm als Anstiftung des Ptolemaios zu astrologischem
Unfug. Daß der christliche Papst dieses Satanswerkzeug besser als
jeder antike Heide beherrschte, war Fortschritt in die falsche Richtung,
kostete den Täter sein Seelenheil und verleidete jedem Leser verwand-
te Gelüste.158
Doch so leicht ließen sich Sternkunde und Zeitrechnung nicht
auseinanderdividieren und aus dem Kreis heilsfördernden Wissens
eliminieren. Der eigenwilligste Autor des Jahrhunderts, Honorius
Augustodunensis, ein wohl aus Irland stammender, in England und
Frankreich tätiger, in Deutschland zur Ruhe kommender Lehrer,
Seelsorger und Mönch, bemühte sich zwar um die Ausübung beider
157 Carmen ad Astralabium filium, hg. von Barthelemy Haureau, Le poeme adresse
par Abelard ä son fils Astralabe, Notices et extraits des manuscrits de la
Bibliotheque Nationale Bd. 34/2 (1895) S. 153-187, hier S. 157 Mond und Sonne,
S. 184 Natur und Philosophie. Zu Abaelards Sprachdenken Verf.. Der Turmbau
von Babel. Geschichte der Meinungen über Ursprung und Vielfalt der Sprachen
und Völker, Bd. 2/2 (1959) S. 631-635. Zum Namen Astralabius, den schon
Zeitgenossen Astrolabius schrieben, Mariateresa Fumagalli, Heloise und Abae-
lard (1986) S. 80, mit irriger Einstufung des Astrolabs. Zu Abaelards Zeitdeu-
tung Borst, Computus S. 41—43; zur Geringschätzung der Mathematik Borst,
Zahlenkampfspiel S. 212-214.
158 Wilhelm von Malmesbury, De gestis regum Anglorum II. 167, hg. von William
Stubbs (Rerum Britannicarum medii aevi scriptores Bd. 90/1, 1887) S. 193-195.
Zu seiner Geschichtsauffassung Hans-Werner Goetz, Die ‘Geschichte’ im
Wissenschaftssystem des Mittelalters, in: Franz-Josef Schmale, Funktion und
Formen mittelalterlicher Geschichtsschreibung. Eine Einführung (1985) S.
165-213, hier S. 176. Zum Zahlenverständnis Borst, Computus S. 40.