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Borst, Arno; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1989, 1. Abhandlung): Astrolab und Klosterreform an der Jahrtausendwende: vorgetragen am 11. Februar 1989 — Heidelberg: Winter, 1989

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https://doi.org/10.11588/diglit.48156#0117
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Astrolab und Klosterreform an der Jahrtausendwende

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globus der Spätantike, Wasseruhr und Computus des frühen Mittelal-
ters, Räderuhr und Erdglobus des späten Mittelalters, Mikroskop und
Fernrohr der frühen Neuzeit, Mondrakete und Computer unserer
Tage.192
Der vergleichende Blick bleibt an der Oberfläche haften, wenn er
nur die Instrumententechnik von Astrolab und Computer beachtet und
beide als Rechenmaschinen erklärt.193 Tiefere Einblicke gewährt schon
die Konstruktion eines mittelalterlichen Astrolabs mithilfe des moder-
nen Computers, denn sie deckt gemeinsame Grundzüge der Welter-
fassung auf.194 Zum anthropologischen Fundament dringt jedoch erst
die Einsicht vor, daß das Astrolab den Zeitgenossen der ersten
Jahrtausendwende nichts anderes ab verlangte als der Computer denen
der zweiten: Besinnung auf das Selbstverständnis des Menschen in
seiner Welt. Gerade weil das Astrolab unsere aktuellen Entwürfe nicht
fördert, gemahnt es an unsere bleibenden Grenzen.195
Zu dieser unbequemen Einsicht des Kolumbianers bekennen sich
Wissenschaftler, zumal deutsche, nicht leicht. Wenn ihre Historie die
Symbolkraft des Astrolabs für die mittelalterliche Welt anerkennt,
birgt sie es als Kleinod im Königshort, neben goldenen Reichsäpfeln
und Planetarien.196 Damit verschwindet es aus der vergangenen
Gewöhnlichkeit und Alltäglichkeit, in der die meisten Historiker heute
schwelgen. Sie müßten es wenigstens als ein Hilfsmittel zur Zeitbe-

192 Jorge Luis Borges, Das Aleph (zuerst 1949), jetzt in: Derselbe, Gesammelte
Werke, Bd. 3/2 (1981) S. 136-141 phantasiereich assoziierend zum Weltenspie-
gel, seinen Propheten (darunter Alanus von Lille) und Produkten (darunter ein
Erdglobus aus Alkmaar, ein Dampfkolben und ein persisches Astrolab). In der
Historie entdeckte Schramm, Sphaira S. 55-147 mit der Symbolbedeutung der
Kugel auch die des Astrolabs; daran anknüpfend Borst, Computus S. 77-80.
193 So Emmanuel Poulle, L’astrolabe medieval d’apres les manuscrits de la
Bibliotheque Nationale, Bibliotheque de l’Ecole des Chartes 112 (1954) S.
81-103, hier S. 81 f.; noch dezidierter Francis Maddison, Early Astronomical
and Mathematical Instruments: A Brief Survey of Sources and Modern Studies,
History of Science 2 (1963) S. 17-50, hier S. 17; Turner, Museum S. 1.
194 So Ole Oesterby, Kurt Moeller Pedersen und John North, Summa ratione
confectum. An astrolabe drawn by Computer, AIHS 25 (1975) S. 73-81.
195 So Joseph Weizenbaum, Die Macht der Computer und die Ohnmacht der
Vernunft (zuerst 1977, 61985) S. 40-46, wo zwar nur von der Räderuhr
gesprochen wird, aber fast überall stattdessen auch ‘Astrolab’ stehen könnte.
196 So in Ansätzen Michel, Traite S. 152 f.; ausgebaut bei Percy Ernst Schramm und
Florentine Mütherich, Denkmale der deutschen Könige und Kaiser. Ein Beitrag
zur Herrschergeschichte von Karl dem Großen bis Friedrich IE, Bd. 1 (1962)
S. 66.
 
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