Der Begriff der Würde im antiken Rom
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inneren Würde nicht streng geschieden werden. Eine herausgehobene
Stellung verlangt ein entsprechendes Verhalten. Als die Prätorianer im
Dreikaiserjahr (69 n. Chr.) in den Kaiserpalast eindringen, um die Sena-
toren zu verhaften, die dort beim Mahle sitzen - sie befürchten einen
Anschlag auf den Kaiser Otho springt dieser, wie Tacitus sagt, contra
decus imperii, auf das Polster eines Speisesofas, wobei decus wieder ein
Synonym für dignitas ist (hist. 1,81).54 Bei den Verhandlungen, die Phil-
ipp von Makedonien im Jahre 197 v. Chr. in Nicaea mit den Römern und
den Ätolern führte, machte ein Ätoler die Bemerkung, man müsse ent-
weder im Kriege siegen oder dem Stärkeren gehorchen. In Anspielung
auf eine Augenkrankheit dieses Ätolers erwiderte Philipp darauf, dies
sei auch einem Blinden klar. Livius mißbilligt dies: et erat dicacior quam
regem decet et ne inter seria quidem risu satis temperans (33,34,2). Daß
Philipp es an menschlichem Takt fehlen ließ, würden auch wir empfin-
den. Wie P. G. Walsh festgestellt hat, sagt Livius in seinem gesamten
Geschichtswerk von keinem einzigen vornehmen Römer, er habe laut
gelacht.53 Immer wieder merzt er der Würde zuliebe Bemerkungen über
das Lachen und die Witze vornehmer Personen aus, die er bei Polybios
vorfand. In seiner Darstellung der wahren Größe bemerkt La Bruyere:
La veritable grandeur rit, joue et badine, mais avec dignite.56 Auch Cicero
erwähnt, daß Witze der Würde abträglich sein können. Der Redner
müsse die Menschen, die Sache, die Situation berücksichtigen, damit
kein Witz die gravitas beeinträchtige: Haberi dixisti rationem oportere
hominum rei temporis, ne quid iocus de gravitate decerperet (de or.
2,229).57 Der auctor ad Herennium - anonymer Verfasser des ältesten
uns erhaltenen lateinischen Handbuchs der Rhetorik - spricht (3,23)
54 Suet. Vesp. 24: (Vespasianus) imperatorem ait stantem mori oportere. Vgl. auch eine
Randbemerkung Ludwigs XIV. auf einem Blatt, wo ein Triumphzug des Königs
gezeichnet ist: Je ne veux point de ces grotesques ... ily a trop de chiens . . . ilfaut que le
roi aitsa canne haute au Heu de s’appuyer dessus. Wie der König den Spazierstock halten
muß, wird aus der sich daraus ergebenden Würde der Erscheinung abgeleitet. Im
Roman „Radetzkymarsch“ von J. Roth fängt Kaiser Franz Joseph in der Eisenbahn
einen Floh, kann aber niemandem davon etwas sagen, weil es seiner Würde nicht ent-
spräche. Napoleon bemerkte zu dem Schauspieler Talmi: „Weniger Gesten in Caesars
Rolle“ (Audibert, Indiscretions et confidence, Paris 1858, 99f.).
55 P. G. Walsh, Livy’s Preface and the Distortion of History, AJPh 76, 1955, 370 = Wege
zu Livius, Darmstadt 1967, 183ff.
56 Jean de La Bruyere, Les Caracteres (1688), ed. R. Garapon, Paris 1962 (im Kapitel Du
merite personnel).
57 Vgl. auch Cic. de or. 2,247 temporis igitur ratio et ipsius dicacitatis moderatio et temper-
antia et raritas dictorum distinguent oratorem a scurra;. .. tempus igitur dicendi pruden-
tia et gravitate moderabimur.
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inneren Würde nicht streng geschieden werden. Eine herausgehobene
Stellung verlangt ein entsprechendes Verhalten. Als die Prätorianer im
Dreikaiserjahr (69 n. Chr.) in den Kaiserpalast eindringen, um die Sena-
toren zu verhaften, die dort beim Mahle sitzen - sie befürchten einen
Anschlag auf den Kaiser Otho springt dieser, wie Tacitus sagt, contra
decus imperii, auf das Polster eines Speisesofas, wobei decus wieder ein
Synonym für dignitas ist (hist. 1,81).54 Bei den Verhandlungen, die Phil-
ipp von Makedonien im Jahre 197 v. Chr. in Nicaea mit den Römern und
den Ätolern führte, machte ein Ätoler die Bemerkung, man müsse ent-
weder im Kriege siegen oder dem Stärkeren gehorchen. In Anspielung
auf eine Augenkrankheit dieses Ätolers erwiderte Philipp darauf, dies
sei auch einem Blinden klar. Livius mißbilligt dies: et erat dicacior quam
regem decet et ne inter seria quidem risu satis temperans (33,34,2). Daß
Philipp es an menschlichem Takt fehlen ließ, würden auch wir empfin-
den. Wie P. G. Walsh festgestellt hat, sagt Livius in seinem gesamten
Geschichtswerk von keinem einzigen vornehmen Römer, er habe laut
gelacht.53 Immer wieder merzt er der Würde zuliebe Bemerkungen über
das Lachen und die Witze vornehmer Personen aus, die er bei Polybios
vorfand. In seiner Darstellung der wahren Größe bemerkt La Bruyere:
La veritable grandeur rit, joue et badine, mais avec dignite.56 Auch Cicero
erwähnt, daß Witze der Würde abträglich sein können. Der Redner
müsse die Menschen, die Sache, die Situation berücksichtigen, damit
kein Witz die gravitas beeinträchtige: Haberi dixisti rationem oportere
hominum rei temporis, ne quid iocus de gravitate decerperet (de or.
2,229).57 Der auctor ad Herennium - anonymer Verfasser des ältesten
uns erhaltenen lateinischen Handbuchs der Rhetorik - spricht (3,23)
54 Suet. Vesp. 24: (Vespasianus) imperatorem ait stantem mori oportere. Vgl. auch eine
Randbemerkung Ludwigs XIV. auf einem Blatt, wo ein Triumphzug des Königs
gezeichnet ist: Je ne veux point de ces grotesques ... ily a trop de chiens . . . ilfaut que le
roi aitsa canne haute au Heu de s’appuyer dessus. Wie der König den Spazierstock halten
muß, wird aus der sich daraus ergebenden Würde der Erscheinung abgeleitet. Im
Roman „Radetzkymarsch“ von J. Roth fängt Kaiser Franz Joseph in der Eisenbahn
einen Floh, kann aber niemandem davon etwas sagen, weil es seiner Würde nicht ent-
spräche. Napoleon bemerkte zu dem Schauspieler Talmi: „Weniger Gesten in Caesars
Rolle“ (Audibert, Indiscretions et confidence, Paris 1858, 99f.).
55 P. G. Walsh, Livy’s Preface and the Distortion of History, AJPh 76, 1955, 370 = Wege
zu Livius, Darmstadt 1967, 183ff.
56 Jean de La Bruyere, Les Caracteres (1688), ed. R. Garapon, Paris 1962 (im Kapitel Du
merite personnel).
57 Vgl. auch Cic. de or. 2,247 temporis igitur ratio et ipsius dicacitatis moderatio et temper-
antia et raritas dictorum distinguent oratorem a scurra;. .. tempus igitur dicendi pruden-
tia et gravitate moderabimur.