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Pöschl, Viktor; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1989, 3. Abhandlung): Der Begriff der Würde im antiken Rom und später: vorgetragen am 10. Mai 1969 — Heidelberg: Winter, 1989

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https://doi.org/10.11588/diglit.48158#0038
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Viktor Pöschl

vielen anderen Begriffen beobachten können - so bei gloria, honor,
honestus, generosus, libertas, virtus -, bei der dignitas nicht im gleichen
Maße eintritt. So ist der Schritt von der politischen dignitas zur inneren
Würde und zur Menschenwürde z. B. bei Seneca, wo man ihn am ehe-
sten erwarten würde72, nicht mit Entschiedenheit getan worden. Dies
mag eben daran liegen, daß die Bezeichnung dignitas in der Kaiserzeit
mit ihrer immer strengeren und starreren Hierarchie im wesentlichen
den politischen Ämtern vorbehalten wurde, wobei es verschiedene
dignitates, verschiedene Rangstufen gab.73 74 Der Begriff dignitas wurde
noch stärker als früher im Sinne der politischen Ämterlaufbahn festge-
legt. So etwa wie Tacitus seine Ämterlaufbahn beschreibt (h 1): dignita-
tem nostram a Vespasiano inchoatam, a Tito auctam, a Domitiano lon-
gius provectam non abnuerim. Diese Entwickung zur terminologischen
Verengung und Verfestigung hat in der Spätantike in der Notitia digni-
tatum^ ihren Ausdruck gefunden, einem Verzeichnis der militärischen
und politischen Würden im Westen und Osten des Reiches nach der
Einrichtung der diokletianischen Präfekturordnung. Gleichwohl ist die
Unterscheidung zwischen Amt und Würde nie ganz verloren gegangen,
wie sie Cicero in einem Brief an seinen Bruder formulierte, wo er davon
spricht, daß die Rutenbündel und Liktorenbeile, die er in seiner Provinz
trug, mehr Abzeichen seiner Würde als seines Amtes sein sollten.75
Während uns also die kaiserzeitliche römische Antike, soweit ich sehe,
72 Immerhin scheint Sen. ep. 14,3 auch die innere Würde zu meinen: „Man muß den Leib
dem Feuer anheimgeben, cum exiget ratio, cum dignitas, cum fides. “ Auch sonst fehlt es
bei ihm nicht an Äußerungen, die in die Nähe des Begriffes der inneren Würde führen.
In der Trostschrift an Polybius schreibt er (Sen. dial. 11,17,1): quamvis in aliis rebus
dignitatum ac nobilitatum magna sint discrimina, virtus in medio posita est: neminem
dedignatur, qui modo dignum se illa iudicat. Das bedeutet, daß virtus jedem eine digni-
tas verleihen kann, der sich um sie bemüht. Vgl. auch Seneca, ep. 44,2: bona mens
omnibus patet, omnes ad hoc sumus nobiles, ep. 44,5: animus facit nobilem. Meistens
jedoch bezeichnet dignitas bei Seneca die äußere Würde, z. B. ep. 80,10: si perpendere te
voles, sepone pecuniam, domum, dignitatem: intus te ipse considera. Sie rechnet Seneca
zu den res extra nos positae, die dem Weisen nichts bedeuten (const. sap. 5,4). Dignitas
erscheint bei ihm außerdem als Wiedergabe von αξία im technisch-stoischen Sinn (s. o.
S. 11).
73 Apuleiusmet. 11,10,1: tunc influunt turbae sacris divinis initiatae, viri feminaeque omnis
dignitatis et omnis aetatis . . . Zur Isisfeier strömten die in die Mysterien eingeweihten
Männer und Frauen jeden Ranges und jeden Alters - ein interessantes Zeugnis für die
Bedeutungslosigkeit von Rangunterschieden in den Mysterienreligionen.
74 ed. O. Seeck, Berlin 1876. Vgl. Aspects of the Notitia Dignitatum, 1976.
75 Cic. ad Qu. 1,1,13: sit lictor non suae sed tuae lenitatis apparitor maioraque praeferant
faces illi ac secures dignitatis insignia quam potestatis.
 
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