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Pöschl, Viktor; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1989, 3. Abhandlung): Der Begriff der Würde im antiken Rom und später: vorgetragen am 10. Mai 1969 — Heidelberg: Winter, 1989

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https://doi.org/10.11588/diglit.48158#0040
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Viktor Pöschl

läßt sich an der kunstvollen Rede das gleiche Gesetz beobachten wie an
der Ordnung des Weltalls und der Gestalt der Menschen und der übri-
gen Lebewesen, wo dignitas und utilitas ebenfalls übereinstimmen. Die
Darlegung gipfelt in einem Beispiel aus dem ästhetischen Bereich: Auch
die Gestalt der Säulenhallen und der Tempelgiebel ist durch praktische
Notwendigkeiten bestimmt, die Giebel sind beispielsweise dazu da, daß
das Regenwasser abläuft. „Aber der utilitas folgt die dignitas, so daß,
selbst wenn im Himmel ein Capitol errichtet würde, wo es gar nicht reg-
nen kann, der Tempel ohne Giebel keine Würde hätte.“78 Entsprechend
waren die Außenfronten von Caesars Haus ebenso wie die des Augustus
und seiner Nachfolger mit Tempelgiebeln geschmückt.79
Am folgenreichsten aber für die Geschichte des Begriffes der Men-
schenwürde war die Bestimmung der Natur des Menschen in Ciceros De
officiis, aus der er die Pflichtenlehre entwickelt (off. l,105f.): „Bei
jedem sittlichen Problem ist es wichtig, sich zu vergegenwärtigen, welch
ungeheuren Vorrang die Natur des Menschen vor den zahmen und den
übrigen Tieren hat. Diese empfinden nur Lust, und ihr ganzes Streben
geht dahin. Der Sinn des Menschen jedoch nährt sich vom Lernen und
Denken, immer sucht und betreibt er etwas und wird von der Freude am
Sehen und Hören geleitet. Selbst wenn er ein wenig zu den Sinnesfreu-
den neigt, . . . wenn ihn die Lust auch noch so sehr gefangen nimmt,
verbirgt und kaschiert er die Lustbegier, weil er sich ihrer schämt.80 Dar-
78 Cic. de or. 3,180: Capitoli fastigium illud et ceterarum aedium non venustas, sed necessi-
tas ipsa fabricata est; nam, cum esset habita ratio, quem ad modum ex utraque tecti parte
aqua delaberetur, utilitatem templi fastigi dignitas consecuta est; ut, etiam si in caelo Capi-
tolium statueretur, ubi imber esse non posset, nullam sine fastigio dignitatem habiturum
fuisse videatur. Eine merkwürdig utopische Wirkung schreibt L. B. Alberti der dignitas
zu (De re aedificatoria 5,8): „Die Schönheit eines Gebäudes wird einen Feind daran
hindern, ihm Schaden zuzufügen ... So kann es keine größere Sicherheit für ein Bau-
werk gegen Gewalt und Schaden geben als Schönheit und Würde.“
79 Cic. Phil. 2,43,110. Sueton, Caes. 81,3. Florus, epit. 2,13,91. L. Ross Taylor, Divinity
of the Roman Emperor, Philol. Monographs of the Am. Philol. Assoc. No. 1, 1931,
111 ff. G. E. Rizzo, Bull. Corn. 61, 1933, 77ff.
80 Eine ganz entsprechende Bemerkung scheint sich bei Terenz zu finden. Da gibt Chre-
mes, ein alter lebenskluger Herr, seinem Sohn Clitipho Ratschläge, wie man sich einem
befreundeten Liebespaar gegenüber zu verhalten hat. Man müsse sich zurückziehen.
Auf keinen Fall dürfe man wie Clitipho der Geliebten seines Freundes gegenüber
zudringlich werden. Er selbst lege sich in solchem Fall große Zurückhaltung auf: „Bei
keinem meiner Freunde würde ich es wagen, alle meine geheimen Regungen preiszuge-
ben, bei dem einen hindert mich die Würde, bei dem anderen geniere ich mich der
Sache selbst wegen, ich könnte albern, könnte zügellos scheinen“: nemost meorum ami-
corum hodie / apud quem expromere omnia mea occulta, Clitipho, audeam; / apud alium
 
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