Der Begriff der Würde im antiken Rom
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„Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben,
bewahret sie, sie sinkt mit euch,
mit euch wird sie sich heben.“
Im 19. Jahrhundert hat die Idee der Menschenwürde im politischen
und sozialen Kontext vor allem unter der Wirkung Schillers eine immer
größere Bedeutung gewonnen; nicht zuletzt beweist das die Kritik, die
Schopenhauer und Nietzsche an dem vor allem durch Kant geprägten
Begriff der Menschenwürde übten. Schopenhauer erklärt: „Es scheint
mir der Begriff der Würde auf ein am Willen so sündliches, am Geiste so
beschränktes, am Körper so verletzbares und hinfälliges Wesen, wie der
Mensch ist, nur ironisch anwendbar zu seyn:
Quid superbit homo? cujus conceptio culpa,
Nasci poena, labor vita, necesse mori!“121
Nietzsche schreibt in den Fünf Vorreden zu fünf ungeschriebenen
Büchern in dem Kapitel über den griechischen Staat: „Wir Neueren
haben vor den Griechen zwei Begriffe voraus, die gleichsam als Trost-
mittel einer durchaus sklavisch sich gebärdenden und dabei das Wort
,Sklave‘ ängstlich scheuenden Welt gegeben sind: Wir reden von der
, Würde des Menschen4 und von der , Würde der Arbeit4... (Der Sklave)
darf ja nicht begreifen, auf welcher Stufe und in welcher Höhe erst unge-
fähr von ,Würde4 gesprochen werden kann, dort nämlich, wo das Indivi-
duum völlig über sich hinausgeht und nicht mehr im Dienste seines indi-
viduellen Weiterlebens zeugen und arbeiten muß.“ Nur dem herausra-
genden Genie möchte Nietzsche Würde zubilligen. Das aristokratische
Element des römischen Begriffes hat sich aus dem politischen Zusam-
menhang gelöst und wird in den Dienst von Nietzsches Geniekult ge-
stellt.
Die furchtbaren Erfahrungen unserer Zeit haben umgekehrt dem
politischen Begriff der Menschenwürde eine neue Stoßkraft gegeben,
der wir zum ersten Mal in Schillers Don Carlos begegneten. Dies eben
bezeugt das Bonner Grundgesetz. Damit kommt ein anderes Begriffs-
element der römischen dignitas wieder zum Vorschein: der Anspruch
der Person gegenüber dem Ganzen, den jetzt nicht mehr die große Per-
sönlichkeit erhebt, wie im republikanischen Rom, sondern der Mensch
schlechthin. Aus der Menschenwürde wird jetzt nicht so sehr eine Ver-
121 Parerga und Paralipomena II, Kap. VIII: Zur Ethik, § 109.
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„Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben,
bewahret sie, sie sinkt mit euch,
mit euch wird sie sich heben.“
Im 19. Jahrhundert hat die Idee der Menschenwürde im politischen
und sozialen Kontext vor allem unter der Wirkung Schillers eine immer
größere Bedeutung gewonnen; nicht zuletzt beweist das die Kritik, die
Schopenhauer und Nietzsche an dem vor allem durch Kant geprägten
Begriff der Menschenwürde übten. Schopenhauer erklärt: „Es scheint
mir der Begriff der Würde auf ein am Willen so sündliches, am Geiste so
beschränktes, am Körper so verletzbares und hinfälliges Wesen, wie der
Mensch ist, nur ironisch anwendbar zu seyn:
Quid superbit homo? cujus conceptio culpa,
Nasci poena, labor vita, necesse mori!“121
Nietzsche schreibt in den Fünf Vorreden zu fünf ungeschriebenen
Büchern in dem Kapitel über den griechischen Staat: „Wir Neueren
haben vor den Griechen zwei Begriffe voraus, die gleichsam als Trost-
mittel einer durchaus sklavisch sich gebärdenden und dabei das Wort
,Sklave‘ ängstlich scheuenden Welt gegeben sind: Wir reden von der
, Würde des Menschen4 und von der , Würde der Arbeit4... (Der Sklave)
darf ja nicht begreifen, auf welcher Stufe und in welcher Höhe erst unge-
fähr von ,Würde4 gesprochen werden kann, dort nämlich, wo das Indivi-
duum völlig über sich hinausgeht und nicht mehr im Dienste seines indi-
viduellen Weiterlebens zeugen und arbeiten muß.“ Nur dem herausra-
genden Genie möchte Nietzsche Würde zubilligen. Das aristokratische
Element des römischen Begriffes hat sich aus dem politischen Zusam-
menhang gelöst und wird in den Dienst von Nietzsches Geniekult ge-
stellt.
Die furchtbaren Erfahrungen unserer Zeit haben umgekehrt dem
politischen Begriff der Menschenwürde eine neue Stoßkraft gegeben,
der wir zum ersten Mal in Schillers Don Carlos begegneten. Dies eben
bezeugt das Bonner Grundgesetz. Damit kommt ein anderes Begriffs-
element der römischen dignitas wieder zum Vorschein: der Anspruch
der Person gegenüber dem Ganzen, den jetzt nicht mehr die große Per-
sönlichkeit erhebt, wie im republikanischen Rom, sondern der Mensch
schlechthin. Aus der Menschenwürde wird jetzt nicht so sehr eine Ver-
121 Parerga und Paralipomena II, Kap. VIII: Zur Ethik, § 109.