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Biser, Eugen; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1990, 1. Abhandlung): Die Bibel als Medium: zur medienkritischen Schlüsselposition der Theologie; vorgetragen am 27. Januar 1990 — Heidelberg: Winter, 1990

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https://doi.org/10.11588/diglit.48159#0016
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Eugen Biser

Die Abgrenzung
Im Unterschied zu Islam und Judentum hat das Christentum lediglich
als eine „sekundäre“ Schriftreligion zu gelten. Wenn man davon aus-
geht, daß die Schrift von ihrer ursprünglichen Zweckbestimmung her
Dokument und Vertrag, insbesondere aber Gesetz und Chronik ist, lag
Israel der Übergang zur Schriftreligion durch den Bundesschluß am
Sinai unmittelbar nah, weil die Weihe des Volkes an den Bundesgott
„verbrieft“ und das von ihm verfügte „Gesetz“ dokumentiert werden
mußten.4 Damit sich der Bundesschluß dem Gedächtnis des Volkes un-
auslöschlich einschreibe, wird sein wichtigster Inhalt, der Dekalog, auf
den beiden „Tafeln der Vergegenwärtigung“ (Ex 32,15) für alle Zeiten
festgehalten. Bei seiner Deutung des Vorgangs geht Martin Buber da-
von aus, daß der Rede vom „Buch des Bundes“ (Ex 24,7) ursprünglich
die Verkündigung einer Botschaft, nicht die Verlesung einer Urkunde,
zugrunde lag.5 Das setzt ein Verhältnis zur Schriftlichkeit voraus, die
dem des Christentums in der Zentralposition engegenkommt.
Ganz anders der Islam, der den ausgesprochenen Fall einer primären
Schriftreligion bildet. Wie die Legende von dem auf ein Seidentuch ge-
schriebenen himmlischen Koran zeigt, zu dessen Lektüre der Offenba-
rungsempfänger Mohammed durch Engelhand förmlich erpreßt wird,
ist die Gottesoffenbarung hier ursprünglich Text, der als die himmlische
Urschrift aller Offenbarungen, die „Mutter des Buches“, dem heiligen
Buch des Koran zugrunde liegt.6 7 Anders als die jüdische Thora bedeutet
„Koran“ demgemäß von seinem Wortsinn her „Lesung“, nicht „Ver-
kündigung“. Demgegenüber ist die Schrift in der jüdischen Tradition,
mit Buber gesprochen, dazu bestimmt, vorgetragen zu werden:
Schon die hebräische Bezeichnung für „lesen“ bedeutet: ausrufen; der traditionelle
Name der Bibel ist: „die Lesung“, eigentlich also: die Ausrufung; und Gott sagt zu
Josua nicht, das Buch der Thora solle ihm nicht aus den Augen, sondern, es solle ihm
nicht „aus dem Munde“ weichen.

4 Dazu Martin Buber, Moses, in: Werke II; Schriften zur Bibel, München und Heidel-
berg 1964, 126-161.
5 Buber, A. a. O., 131.
6 Colpe, A.a.O., 220; dazu auch Lanczkowski, A.a.O., 66-69.
7 Buber, Die Schrift und ihre Verdeutschung, in: Werke II, 1114.
 
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