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Biser, Eugen; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1990, 1. Abhandlung): Die Bibel als Medium: zur medienkritischen Schlüsselposition der Theologie; vorgetragen am 27. Januar 1990 — Heidelberg: Winter, 1990

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https://doi.org/10.11588/diglit.48159#0017
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Die Bibel als Medium

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Der Abbruch
Damit ist die Abgrenzung zum Christentum eindeutig markiert. Für
das Schriftverständnis des Islam ist das heilige Buch das wesentliche Un-
terscheidungskriterium gegenüber den „Bekennern schriftloser Religio-
nen“.8 Für das Judentum ist der heilige Text dazu bestimmt, in mündli-
che Verkündigung umgesetzt zu werden. Was hier als Endbestimmung
erscheint, steht für das Christentum am Anfang. Nicht umsonst brachte
Lessing die starren Vertreter des sola-scriptura-Prinzips mit der Frage
in Verlegenheit, was von dem Christentum der ersten Stunde zu halten
sei, das sich zwar „bereits so vieler Seelen bemächtigt hatte“, dies jedoch
zu einer Zeit, zu der „noch kein Buchstabe“ von seinen heiligen Schrif-
ten aufgezeichnet war.9 Es war die Anfangszeit, in der das Christentum
8 Lanczkowski, A.a.O., 67.
9 Lessing, Axiomata VIII: Werke in drei Bänden (Ausgabe Göpfert) III, München und
Wien 1982, 460ff. Die unbestreitbare Tatsache, daß die urchristliche Mündlichkeit weit-
gehend durch ritualisierte Wortprägungen, insbesondere aber durch den durchgängigen
Rückbezug auf die alttestamentlichen Schriften - das heilige Buch der Juden wie der
Anhänger Jesu - geprägt war, kann im vorliegenden Zusammenhang unberücksichtigt
bleiben, obwohl von festgefügten Redewendungen und Formeln erhebliche Anstöße
zur Verschriftung ausgegangen sein dürften. Das gilt in erster Linie von Jesu eigenen
Wortschöpfungen, die als solche auf „sinngetreue“ Tradierung und Dokumentierung
drängten, aber auch für die „in seinem Namen“ neu geschaffenen Logien prophetischer
Provenienz. In der Betonung des Tradierungsprozesses besteht das berechtigte Anlie-
gen von Rainer Riesners Studie Jesus als Lehrer. Eine Untersuchung zum Ursprung
der Evangelien-Überlieferung1 (Tübingen 1988), die im übrigen jedoch der von Luther
beschworenen Gefahr erliegt, aus Jesus „ein Mosen“, verstanden als der Prototyp des
„Gesetzeslehrers“, zu machen. Wenn diese Gefahr gebannt werden soll, muß mit Ries-
ners Vorzugsgegnern Dibelius, Bultmann und Käsemann der Beitrag der „traditions-
schöpferischen Propheten“ zur Geltung gebracht werden, der vor allem die Umsetzung
des verkündigenden Jesus in den verkündigten Christus betraf und dadurch sein Wort
von einst in der Qualität des „Ein-für-allemal“ erscheinen ließ. Deshalb sollten diese
besser als „sprachschöpferische Propheten“ bezeichnet und damit an die - von der Theo-
logie noch zu wenig gewürdigte - Sprachleistung Jesu herangerückt werden. Dazu Ru-
dolf Bultmann , Das Verhältnis der nachchristlichen Christusbotschaft zum historischen
Jesus (Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften), Heidelberg
1965,25, sowie die Ausführungen im abschließenden Exkurs. Was den in diesem Zusam-
menhang vielfach zitierten Aufsatz Ernst Käsemanns über ,Sätze heiligen Rechtes im
Neuen Testament1 (Exegetische Versuche und Besinnungen, Göttingen 1986, 96-109)
anlangt, so grenzt er den Fragehorizont allerdings auf die thematisch angesprochenen
Sätze ein, anstatt der vorgeordneten Frage nachzugehen, wie sich die (nach 1 Kor 12,3 nur
von den korinthischen Enthusiasten verworfene) Erinnerung an den historischen Jesus
unter dem Eindruck charismatischer Ergriffenheit vom Geist des Erhöhten in die Bot-
schaft von dem „zur Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung“ Gewordenen
 
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