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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1991, 2. Abhandlung): Ovids poetische Menschenwelt: die Metamorphosen als Metapher und Symphonie ; vorgetragen am 3. Juni 1989 — Heidelberg: Winter, 1991

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48162#0069
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Ovids poetische Menschenwelt

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Ich will den Unterschied zwischen narrativer und metaphorischer
Funktion der Metamorphose noch im Zusammenhang eines Problems
verdeutlichen und dabei auch jenes Problem klären. Die Frage: gedeu-
tet die Verwandlung eines Menschen seinen Tod oder ist sie eine Ver-
ewigung?4 läßt sich nur mit Hilfe der Differenzierung zwischen dem er-
zählerischen Aspekt und der Bedeutung der neuen Gestalt angehen.
Indem die Metamorphose für immer Charakter, Schicksal usf. eines
Menschen festhält, also in metaphorischer Funktion, ist sie eine Verewi-
gung. Man wird dagegen in narrativer Hinsicht nicht von Verewigung
reden können, weil gelebtes Leben nicht gleichsam bruchlos in ein ewi-
ges Sein hinein fortgesetzt wird. Umgekehrt gilt nun aber nicht, daß
deshalb Tod immer ein narrativer Aspekt der Metamorphose sei.
Als Verwandlung ins Außermenschliche und in ihrer Endgültigkeit ist
die Metamorphose des Menschen sein Tod. In ihrem Verwandlungscha-
rakter wiederum ist sie (natürlich je verschieden, ob Gott oder Stein)
eine Weise des Lebens oder wenigstens des gestalteten Seins, d.h., im
Unterschied gegenüber bloßer Erhaltung der Elemente oder Atome
beim Tod nach vorsokratischen Lehren, des Seins einer Gestalt, eines
gestalthaften Wesens. Die Zwischenstellung der Metamorphosen zwi-
schen Tod und Leben35 wird je verschieden akzentuiert, nämlich je
nachdem, ob sie den lebenden Menschen trifft, den toten oder todesna-
hen oder schließlich den Menschen, der lebend schon tot ist, der nicht
leben oder sterben will oder kann.
So ist die Verwandlung der Aglauros in einen Stein klar wie ein Sterben
beschrieben (met. 2,819-831). Die Ausbreitung von Kälte und Starre
erinnert an Platons Bericht vom Tod des Sokrates.36 Der Verwandlung
der Cerasten als Strafe geht eine Überlegung der Venus voraus: Verban-
nung, Tod oder „siquid medium est mortisque fugaeque./ [. . .] versae
poena figurae“ (met. 10,233 f.). Dryopes Verwandlung in einen Baum
wird von ihr selbst wie von ihrer anwesenden Schwester als ein Sterben
und Bestattetwerden aufgefaßt: met. 9,362 und 389: „condi“, „condor“;
v. 390f.: „ex oculis removete manus! sine munere vestro / contegat induc-
tus morientia lumina cortex.“ Andererseits betrachtet Dryope sich doch
auch wieder als im Baum (v. 379) oder als Baum (v. 373-384) weiterle-
bend. Die Metamorphose befreit vom Alterstod Philemon und Baucis
35 Vgl. v. Albrecht (1963), Ovids Humor, S. 436 f.: „Ein eigentümlicher Schwebezustand
zwischen Freude und Trauer als Folge der meist im Angesicht des Todes eintretenden
Metamorphose ist ein in dem Epos Ovids in vielen Variationen wiederholtes Erlebnis.“
36 Vgl. Plato, Phaed. 117e-118a: βαρύνεσϋαι, ψΰχεσ&αι, πήγνυσθαι.
 
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