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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1991, 2. Abhandlung): Ovids poetische Menschenwelt: die Metamorphosen als Metapher und Symphonie ; vorgetragen am 3. Juni 1989 — Heidelberg: Winter, 1991

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https://doi.org/10.11588/diglit.48162#0079
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Ovids poetische Menschenwelt

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vielmehr das Resultat seiner künstlerischen Leistung. Ovid gewinnt
nicht aus Welt und Natur Erkenntnis vom Menschen, sondern seine
Liebe und Kenntnis des Menschen, nicht zuletzt gespeist von ungeheu-
rer Literaturkenntnis, verwandelt durch Einfühlung in die Menschen
und in die Naturwesen der Metamorphosen des poetisch-mythologi-
schen Thesaurus die Welt in den Spiegel des Menschen.
Meine zu Zinns und Fränkels Gesamtdeutung entgegengesetzte
These besagt demnach Folgendes. Die mythologische Welt der Ver-
wandlungen, die ihren Ursprung in Vorstellungen hat, die der Entdek-
kung und Entwicklung menschlichen Selbstbewußtseins und Identitäts-
gefühls vorausliegen, wird von Ovid zur psychologischen Darstellung
fest umrissener, individueller, mit sich selbst identischer, als Charakter
gezeichneter Menschen durchgespielt, wobei die Menschheit aller Zeit
nicht Geschichte ist, sondern die Totalität der Menschen, die als zu ver-
stehende Menschen grundsätzlich in jeder Zeit die gleichen sind. Indem
die Metamorphose die Aitiologie des Metaphernstatus der ganzen Welt
für den Menschen in seinem Schicksalsreichtum wird, erhebt sich Ovids
Metamorphosendichtung über die schlanken Aitia des Kallimachos mit
ihrer spezifischeren Neugier und auch über die römische Totalität seiner
eigenen aitiologischen Kalenderdichtung der Fasten hinaus zum Weltge-
dicht. Die Verwandlung der Welt ins Menschliche ist keine Philosophie
oder Theologie, sondern poetische Welt-,Anschauung‘. Die infolge aus-
schließlichen Interesses am Menschen menschlich gedeutete Welt wird
in ein enzyklopädisches Lesebuch für immer neue Menschenneugier
verwandelt. Aber nicht die Welt ist dieses Lesebuch ,Welt‘, sondern das
sind eben die Metamorphosen, Dichtung, ein ,Buch‘. Die Dichtung der
Metamorphosen ist als die Apotheose des Dichters (met. 15,871-879)
seine eigene Metamorphose und als solche eine lebendige Metapher für
große dichterische Verwandlungskraft und Humanität.
In der Verschmelzung der beiden großen dichterischen Formen, des
heroischen Epos und des hellenistischen aitiologischen Kollektivge-
dichts ist auch für die epische Tradition Universalisierung zu beobach-
ten: statt des einen epischen Helden der Mensch aller Zeiten, statt ein-
zelner epischer Gleichnisse die Welt als eine menschlich zu verstehende.
Vom heroischen Epos aus betrachtet sind die Metamorphosen die Uni-
versalisierung des Helden und des Gleichnisses zu Mensch(heit) und
Welt.
Die Metamorphose, Verwandlung als der Eintritt von Menschenart
und -Schicksalen in ihre Metapher und poetischer Ursprung des Meta-
phernstatus der Welt, ist daher nicht das Thema der ovidischen Dich-
 
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