Metadaten

Berger, Hermann; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1992, 1. Abhandlung): Das Burushaski: Schicksale einer zentralasiatischen Restsprache ; vorgetragen am 12. Januar 1991 — Heidelberg: Winter, 1992

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48165#0020
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
10

Hermann Berger

Anzahl lautnachahmender und expressiver Bildungen äußert. Aber es
gibt einen zweiten, tiefer liegenden Grund. Immer wieder kommt es in
der Sprache vor, daß ein Wort seiner Verwendung nach an zwei Kate-
gorien teilhat, die im grammatischen System in einer Opposition zuein-
ander stehen. So kann man die Bezeichnung für eine Gruppe von Men-
schen einmal als eine kollektive Einheit, das andere Mal aber als eine
Mehrzahl von Wesen sehen. Die meisten Sprachen entscheiden sich
hier einseitig für eine Konstruktion, aber das Lateinische kann z.B. in
einer „constructio ad sensum“ ein Femininum wie multitudo „Menge“,
wenn man an die Einzelmenschen denkt, aus denen sie besteht, auch
als mask.pl. konstruieren, ebenso das neutr.pl. capita coniurationis
„die Häupter der Verschwörung“, in dem Gedanken daran, daß es sich
dabei ja um Menschen handelt. Man kann sich nun eine Sprache den-
ken, die so ein Dilemma ungleich stärker als andere Sprachen erlebt,
d.h. die ein lebhaftes semantisches Differenzierungsvermögen einem
ebenso ausgeprägten grammatisch-systematischen Sinn gegenüberstellt
und dadurch in einem erhöhten Maße zu Schwankungen in der Aus-
drucksweise neigt. Man könnte dasselbe auch positiv ausdrücken, in-
dem man sagt, in einer solchen Sprache sei der Prozeß, der von der
vorsprachlichen Ausdrucksabsicht zu festgelegten grammatischen For-
men führt, noch nicht so abgeschlossen wie anderswo; daß sie sich so-
zusagen von der dazu aufzubringenden Kraft noch etwas zurückbehal-
ten hat. Es liegt auf der Hand, daß diese zweite Haupteigentümlichkeit
des Burushaski in engem Zusammenhang mit der ersten steht. Denn
die Festlegung einer Sprache auf einen bestimmten Typus ist dasselbe
wie die Festlegung auf eine von zwei einander widerstreitenden Aus-
drucksformen im einzelnen grammatischen Bereich, nur auf einer hö-
heren Stufe.
Die Tendenz, typologisch Verschiedenes oder gar Gegensätzliches in
einer Synthese ineinander oder in freier Wahl nebeneinander zum Aus-
druck zu bringen, soll hier an drei markanten Eigentümlichkeiten des
Burushaski-Sprachbaus dargelegt werden: der lautlichen Darstellung
der Morpheme, der Einteilung der Substantive in Klassen oder Genera,
und der Verbindung von aktiver und passiver Verbalauffassung. Dabei
muß schon vorab festgestellt werden, daß die Phänomene, wenn sie
auch zunächst rein synchronisch-typologisch zu sehen sind, doch auch
eine historische Seite haben. Denn von den zwei verschiedenen Konzep-
tionen einer Kategorie zeigt sich immer eine zumindest insofern als die
„jüngere“, als ihr sekundärer Charakter innerhalb des Systems erkenn-
bar ist; wie weit auch ein Einfluß von außen her durch Sprachen, mit
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften