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Raible, Wolfgang; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]; Heger, Klaus [Gefeierte Pers.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1992, 2. Abhandlung): Junktion: eine Dimension der Sprache und ihre Realisierungsformen zwischen Aggregation und Integration ; vorgetragen am 4. Juli 1987 ; Klaus Heger zum 22.6.1992 — Heidelberg: Winter, 1992

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https://doi.org/10.11588/diglit.48166#0205
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V. Junktion, Mündlichkeit und Schriftlichkeit

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Ein italienisches Beispiel aus der Mitte des 13. Jahrhunderts, der erste
Briefsteller in der Vulgärsprache, verfaßt von Meister Guido Fava aus
Bologna, mag dies verdeutlichen. Seine Parlamenti ed Epistole enthal-
ten lateinische und vulgärsprachliche Musterbriefe. Sie sind, dem latei-
nischen Briefmuster entsprechend, das seit der Spätantike gilt, stark ar-
gumentativ aufgebaut: Auf die Anrede folgt eine erste Prämisse, dann
eine zweite, darauf, aus ersterund zweiter Prämisse abgeleitet, die Con-
clusio (das eigentliche Anliegen des Briefs, meist eingeleitet durch ein
unde, das in der Graphie noch lateinisch ist, aber immerhin zum Inven-
tar der italienischen Junktoren gehört). Abgeschlossen wird das Ganze
durch die Schlußformel. Guido Fava greift nun gelegentlich durchaus
noch auf lateinische Junktoren zurück: u. a. auf das völlig unromanische
ut, auf enim und tamen:
- Et inperçà, anche sciati tenuto per vostro officio, tamen pregemone affectuosa
mente ehe del maleficio facto da cutale vostro citadino inpersona d’Alberto no-
stro citadino vogliati fare vendecta in tale guisa, ehe noi ne possemo essere con-
tenti, e lo scandalo ehe è in ia nostra terra s’ammoti, e de questa favilla nosca
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fogo de malivolentia e d’odio spetiale .
(„Und daher, auch wenn ihr von Amts wegen dazu gehalten seid, bitten wir euch
dennoch in liebenswürdiger Weise, daß ihr das Leid, das von eurem Bürger X
unserem Bürger A zugefügt wurde, in solcher Weise rächt, daß wir damit zufrie-
den sein können und daß die Ungehaltenheit, die in unserem Gebiet besteht,
verstummt und dieser Funke [nicht] zu einem Herd von Mißgunst und besonde-
rem Haß wird“.)
An diesem Beispiel wird gleichzeitig ersichtlich, wie sehr Guido Fava
schon die Kunst des komplexen Satzbaus und damit die Verwendung des
Integrationssignals ehe beherrscht (pregemone . . . ehe, in tale guisa ehe)
und wie wenig er eigentlich noch Anleihen an lateinische Verfahren
oder Mittel nötig hat. Im letzten Satzglied (e de questa favilla nosca . . .)
„fehlt“ freilich nach heutiger Vorstellung ein ehe, d. h. wir haben es mit
sches en aysso que sowie altitalienisches en ciö ehe, ebenfalls mit limitativer Bedeutung.
Er sagt zusammenfassend (394f.): „Nach alledem liegt kein Grund vor, mit Lerch in
diesen Formen gelehrte Schöpfungen des 12. oder 13. Jahrhunderts zu erblicken oder sie
zu Zeugen für die ,fièvre de créations nouvelles1 auszurufen, die die Sprache im 12.
Jahrhundert befallen haben soll; sie sind lateinisches Erbe.“
19 Vgl. dazu auch Wolfgang Raible, Artikel .Relatinisierung1 [geschrieben 1988] im 2.
Band des Lexikon der romanistischen Linguistik [Artikel 100, erscheint voraussichtlich
1992],
20 Parlamentum de potestate ad potestatem pro maleficio, Nr. 72 in: Augusto Gaudenzi
1889:153.
 
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