Metadaten

Assmann, Jan; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1993, 2. Abhandlung): Monotheismus und Kosmotheismus: ägyptische Formen eines "Denkens des Einen" und ihre europäische Rezeptionsgeschichte ; vorgetragen am 24. April 1993 — Heidelberg: Winter, 1993

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48168#0022
License: In Copyright
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
20

Jan Ass mann

erte Bild zu Sais ist nach Plutarch ein Sitzbild der Athena-Isis mit
der Aufschrift: „Ich bin alles was da war, ist und sein wird; kein
Sterblicher hat jemals meinen Mantel (peplos) gelüftet“.48 Dieselbe
Inschrift überliefert auch Proklos in seinem Timaios-Kommentar,
und da er noch einen Satz anfügt, sieht es so aus, als vertrete er eine
unabhängige und vollständigere Tradition. Dieser zusätzliche Satz
lautet: „die Frucht meines Leibes aber ist die Sonne“.49
Auch bei Plutarch besteht die verhüllte Wahrheit50 in einer
monotheistischen Idee. Denn die Rede der Isis-Athena läuft auf die
Botschaft hinaus, daß sie alles und damit die einzige ist. Sie sagt „ich
bin alles“, und sie spezifiziert dieses „alles“ in der Zeitdimension:
was war, ist und sein wird. Damit impliziert sie, daß es außer ihr
keine Götter gibt. Solche Lehren hatte Schiller im Blick, als er den
Versuch unternahm, den Begriff der ägyptischen Mysterien, in die
Moses eingeweiht worden sein soll, mit Inhalt zu füllen.
Und auch darin stand er in einer Tradition, die auf die Antike, ja
sogar noch weit vor Jamblich und Plutarch zurückreicht.51 Die
These, daß Moses ein Ägypter war und den Hebräern den Mono-
theismus gebracht habe, begegnet bereits erstaunlich früh, lange
vor den christlichen Kirchenschriftstellern, und zwar bei Manetho
von Sebennytos, einem ägyptischen Priester, der in der ersten Hälfte
des 3. Jh. v. Chr. lebte und eine Geschichte Ägyptens mit dem Titel

48 έγώ είμι παν το γεγονός καί ον και επόμενον και τον έμόν πέπλον ούδεϊς πω
θνητός άπεκάλυψεν.- Plutarch, De Iside et Osiride, Kap. 9 (354C) ed. J. Gw. Grif-
fiths, University of Wales Press 1970,130f., 283f. J. Hani, La religion egyptienne
dans la pensee de Plutarque, 244 f. Schiller zitiert diesen Satz als Inschrift auf
einer „Pyramide“ und gibt die Inschrift „unter einer alten Bildsäule der Isis“ nur
als Kurzfassung „Ich bin, was da ist“ (482).
49 Proklos, In Tim. 30, s. Griffiths, a.a.O. 283.
50 So ist das Motiv des „peplos“ gemeint. Wenn man das ins Ägyptische übersetzt,
dann gelangt man zu einer Formulierung, die man auf zwei ganz verschiedene
Weisen übersetzen kann. *nn kjj wp hr.j „es gibt keinen, der mein Gesicht auf-
deckt“ kann auch bedeuten: „es gibt keinen außer mir“. Sollte es sich bei der
Inschrift des verschleierten Bildes von Sais um den Übersetzungsfehler eines
ägyptischen Dragoman handeln, der des klassischen Ägyptisch nicht mehr so
ganz mächtig war? nn kjj wp hr.k „es gibt keinen außer dir“ sagt z. B. der mono-
theistische König Echnaton zu seinem Gott Aton (z. B. Sandman [s. Anm. 68],
94.17 vgl. 7.7), es ist also die klassische monotheistische Formel im alten Ägyp-
ten. Aber für den Griechen ergibt das Motiv der Verhüllung natürlich einen
wesentlich tieferen und reicheren Sinn.
51 Vgl. zum Folgenden John G. Gager, Moses in Greco-Roman Paganism, Nash-
ville/New York 1972.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften