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Assmann, Jan; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1993, 2. Abhandlung): Monotheismus und Kosmotheismus: ägyptische Formen eines "Denkens des Einen" und ihre europäische Rezeptionsgeschichte ; vorgetragen am 24. April 1993 — Heidelberg: Winter, 1993

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https://doi.org/10.11588/diglit.48168#0023
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Monotheismus

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Aigyptiaka schrieb. Dieses Werk ist zwar verloren, aber die uns inter-
essierenden Abschnitte finden sich in voller Länge bei Josephus
Flavius zitiert in seinem Werk Contra Apionem, wo er die Verleum-
dungen der Ägypter gegen die ihnen verhaßten Juden behandelt.52
Vorher hatte schon Hekataios von Abdera, der Ägypten unter Ptole-
maios I. bereiste, eine Darstellung des Exodus gegeben, die sich in
manchen Punkten mit der von Manetho berührt.53 Bei Hekataios
aber ist Moses kein Ägypter und der von ihm vertretene (kosmolo-
gische) Monotheismus wird auch nicht mit ägyptischer Theologie in
Verbindung gebracht. Für Schiller ist eindeutig Manetho und nicht
Hekataios die entscheidende Quelle. Zunächst faßt Josephus in kur-
zen Worten zusammen, was Manetho aufgrund seiner ägyptischen
Schriftquellen über die Juden berichtet. Dann zitiert er sehr ausführ-
lich, was Manetho auf der Basis mündlich umlaufender Legenden
und Volkserzählungen von den Juden erzählt. Diese Unterschei-
dung zwischen “Written” und “Oral History” ist für die Einschätzung
des Folgenden sehr wichtig. Den Volkslegenden zufolge ist Moses
ein ägyptischer Priester aus Heliopolis namens Osarsiph, der sich
einer Gruppe Aufständischer anschloß, sich zu ihrem Führer
machte und den Namen Moses annahm. Manethos Geschichte ist
eine gehässige Verdrehung der biblischen Überlieferung und als ein
Stück altägyptischen Volks-Antijudaismus von großem historischen
Interesse. König Amenophis, so heißt es, habe die Götter sehen
wollen. Sein weiser Ratgeber, der auch Amenophis hieß - übrigens
eine historische Figur, von der wir zahlreiche Denkmäler kennen54 -
wies ihm den Weg: zuvor müßte er das Land von den Aussätzigen
reinigen, dann würde er die Götter schauen.55 Die von König Ame-

52 Josephus, Contra Apionem I, 26-31, §§ 227-287. Ich benutze die Ausgabe der
Manethonischen Fragmente von W. G. Waddell, Manetho, Loeb (1940). Vgl.
auch Menachem Stern, Greek and Latin Authors on Lews and Judaism, I: From
Herodotus to Plutarch, Jerusalem 1976, 62—86; Gager, Moses, 113-118.
53 Erhalten bei Diodor, Bibliotheca Historica 40,3,1-3 = Stern, Greek and Latin
Authors, I Nr. 11.
54 Vgl. Dietrich Wildung, Imhotep und Amenhotep, MÄS 36, München 1977.
55 Darin steckt übrigens ein ägyptisches Motiv. Das berühmte 125. Totenbuch-
Kapitel, das sog. negative Sündenbekenntnis, ist überschrieben: „Das Antlitz
der Götter schauen. Den NN von allen Sünden befreien, die er begangen hat.“
Wenn man die Götter schauen wollte, mußte man Schuld und Befleckung los-
werden. Zwar wären die alten Ägypter wohl nie auf den Gedanken gekommen,
Aussatz und moralische Schuld gleichzusetzen. Aber die Griechen dachten in
diesem Punkt anders; ihr Begriff der „Befleckung“ (miasma') verwischt diese
 
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