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Jan Assmann
Bei Strabo/Poseidonios stoßen wir auf eine sehr ähnliche All-
Einheits-Theologie wie bei Plutarch in seiner Geschichte vom ver-
schleierten Bild zu Sais. Wurde bei Plutarch der Begriff des „Alles“
zeitlich entfaltet - alles, was war, ist und sein wird - so ist dieser
Begriff bei Strabon eher räumlich gedacht: Jenes Eine Wesen sei
Gott, welches uns alle und Erde und Meer umfaßt, welches wir
Himmel und Erde und Natur der Dinge nennen“. Das ist wiederum
der Eine Gott, der Alles ist, der All-Eine. Von Verschleierung und
Verborgenheit ist bei Manetho und Strabo allerdings nicht die
Rede. Was Moses den Hebräern brachte, war nicht eine ägyptische
Geheimtradition, sondern etwas Neues und Revolutionäres, was in
Ägypten selbst keine Vergangenheit und keine Zukunft hatte. Hier
ist offensichtlich nicht an einen evolutionären und esoterischen,
sondern an einen revolutionären Offenbarungs-Monotheismus
gedacht.60
Heute wissen wir, was Manetho, Strabo und ihre ägyptischen
Zeitgenossen nicht wissen konnten: daß es einen solchen revolutio-
nären Offenbarungsmonotheismus in Ägypten tatsächlich einmal
gegeben hatte, daß er tatsächlich für eine gewisse Zeit - die 13 Jahre
bei Manetho passen gar nicht schlecht - ins Werk gesetzt wurde, und
daß die Form seiner Durchsetzung tatsächlich mit Vandalismus
und Ikonoklasmus der schärfsten Form verbunden gewesen war. Es
scheint mir offensichtlich, daß sich hier vage Erinnerungen an die in
den offiziellen Quellen totgeschwiegene Amarna-Religion in Form
einer mündlichen Überlieferung erhalten haben. Es kann doch kein
Zufall sein, daß diese Legenden die Moses-Geschichte in die Zeit
Amenophis HL verlegen, des Vaters von Echnaton, dem die Regie-
rungszeit seines aus den Königslisten gestrichenen Sohnes zuge-
schlagen wurde. In der Volksüberlieferung hatten sich legendäre
Erinnerungen an diese traumatische Epoche um so eher bilden und
erhalten können, als ja die Folgen der totgeschwiegenen Amarna-
60 Die Ansicht, daß Moses den Juden eine ägyptische Religion brachte, findet sich
auch bei Apion. Auch für Apion ist Moses ein Ägypter aus Heliopolis, der die
Juden aus Ägypten herausgeführt hat. In Jerusalem angekommen, „blieb er den
Sitten seines Landes verpflichtet und errichtete hypaithrale (ungedeckte)
Gebetshäuser in verschiedenen Teilen der Stadt, alle nach Osten ausgerichtet,
weil das die Orientierung in Heliopolis sei. Anstelle der Obelisken errichtete er
Pfeiler, unterhalb derer sich ein Schiffsmodell befand. Der von der Statue auf
dieses Bassin geworfene Schatten beschrieb einen Kreis analog dem Lauf der
Sonne am Himmel“ (Stern, a.a.O., Nr. 164).
Jan Assmann
Bei Strabo/Poseidonios stoßen wir auf eine sehr ähnliche All-
Einheits-Theologie wie bei Plutarch in seiner Geschichte vom ver-
schleierten Bild zu Sais. Wurde bei Plutarch der Begriff des „Alles“
zeitlich entfaltet - alles, was war, ist und sein wird - so ist dieser
Begriff bei Strabon eher räumlich gedacht: Jenes Eine Wesen sei
Gott, welches uns alle und Erde und Meer umfaßt, welches wir
Himmel und Erde und Natur der Dinge nennen“. Das ist wiederum
der Eine Gott, der Alles ist, der All-Eine. Von Verschleierung und
Verborgenheit ist bei Manetho und Strabo allerdings nicht die
Rede. Was Moses den Hebräern brachte, war nicht eine ägyptische
Geheimtradition, sondern etwas Neues und Revolutionäres, was in
Ägypten selbst keine Vergangenheit und keine Zukunft hatte. Hier
ist offensichtlich nicht an einen evolutionären und esoterischen,
sondern an einen revolutionären Offenbarungs-Monotheismus
gedacht.60
Heute wissen wir, was Manetho, Strabo und ihre ägyptischen
Zeitgenossen nicht wissen konnten: daß es einen solchen revolutio-
nären Offenbarungsmonotheismus in Ägypten tatsächlich einmal
gegeben hatte, daß er tatsächlich für eine gewisse Zeit - die 13 Jahre
bei Manetho passen gar nicht schlecht - ins Werk gesetzt wurde, und
daß die Form seiner Durchsetzung tatsächlich mit Vandalismus
und Ikonoklasmus der schärfsten Form verbunden gewesen war. Es
scheint mir offensichtlich, daß sich hier vage Erinnerungen an die in
den offiziellen Quellen totgeschwiegene Amarna-Religion in Form
einer mündlichen Überlieferung erhalten haben. Es kann doch kein
Zufall sein, daß diese Legenden die Moses-Geschichte in die Zeit
Amenophis HL verlegen, des Vaters von Echnaton, dem die Regie-
rungszeit seines aus den Königslisten gestrichenen Sohnes zuge-
schlagen wurde. In der Volksüberlieferung hatten sich legendäre
Erinnerungen an diese traumatische Epoche um so eher bilden und
erhalten können, als ja die Folgen der totgeschwiegenen Amarna-
60 Die Ansicht, daß Moses den Juden eine ägyptische Religion brachte, findet sich
auch bei Apion. Auch für Apion ist Moses ein Ägypter aus Heliopolis, der die
Juden aus Ägypten herausgeführt hat. In Jerusalem angekommen, „blieb er den
Sitten seines Landes verpflichtet und errichtete hypaithrale (ungedeckte)
Gebetshäuser in verschiedenen Teilen der Stadt, alle nach Osten ausgerichtet,
weil das die Orientierung in Heliopolis sei. Anstelle der Obelisken errichtete er
Pfeiler, unterhalb derer sich ein Schiffsmodell befand. Der von der Statue auf
dieses Bassin geworfene Schatten beschrieb einen Kreis analog dem Lauf der
Sonne am Himmel“ (Stern, a.a.O., Nr. 164).