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Jan Assmann
hat doch wenigstens im Rahmen seiner eigenen Kultur eine beacht-
liche, ebenfalls jahrtausendelange Rezeptionsgeschichte gehabt.
Hier aber geht es um einen Text, der von keinen Schriftgelehrten
tradiert und ausgelegt wurde, sondern unmittelbar nach seiner
ersten Zirkulation wieder in Versenkung und Vergessenheit geraten
ist.
Um so überraschender ist nun, daß der Hymnus sofort nach sei-
ner Wiederentdeckung eine Resonanz fand, wie sie keinem anderen
ägyptischen Text beschieden war. Die Sensation dieses Textes
besteht darin, daß er einen Monotheismus reinster Prägung vertritt,
der in seiner radikalen Leugnung aller anderen Götter, ja der Ver-
meidung des Wortes „Gott“ - im Singular und vor allem im Plural -
noch über die biblischen Texte weit hinausgeht. Echnatons Mono-
theismus - darin liegt der entscheidende Unterschied zum bibli-
schen - ist „kosmotheistisch“62, er beruht auf der Verehrung einer
kosmischen Macht, die sich als Sonne und zwar in Licht und Zeit,
Strahlung und Bewegung, manifestiert. Seine Offenbarung besteht
nicht in moralischen Gesetzen und geschichtlichem Handeln, son-
dern in der Erkenntnis, daß sich alles - die gesamte sichtbare und
unsichtbare Wirklichkeit - auf das Wirken von Licht und Zeit, und
damit der Sonne, zurückführen läßt. Echnaton glaubte das eine
Prinzip entdeckt zu haben, aus dem die Welt hervorging und täglich
aufs neue hervorgeht. Da er kosmotheistisch dachte, war es für ihn
selbstverständlich, daß dieses Prinzip ein Gott sei; und da dieses
Prinzip einzig war und als ein einziges alle anderen aus ihm abzulei-
ten gestattete, war es für ihn weiterhin klar, daß es neben diesem
keine anderen Götter geben könne. Das war keine Frage von
„Treue“ und „Eifersucht“ (qn 9, wie im frühen biblischen Henotheis-
mus, sondern von Wissen und Wahrheit. Mit dieser Erkenntnis
stellt sich Echnaton an den Anfang einer Reihe, die erst 700 Jahre
später die jonischen Naturphilosophen fortsetzen mit ihrer Frage
nach dem einen, alles bedingenden und alles erklärenden Prinzip,
62 Vgl. z. B. Verf., Stein und Zeit, Mensch und Gesellschaft im Alten Ägypten, Mün-
chen 1991,59ff. Unter „Kosmotheismus“ verstehe ich ein auf der Übersetzung
von der Göttlichkeit des Kosmos beruhendes Weltverständnis, das diese Gött-
lichkeit zunächst und natürlicherweise als Vielheit erfährt, aber dabei die Ein-
heit des Kosmos immer mitdenkt und sie schließlich sogar als das dominie-
rende Prinzip ins Zentrum rücken kann. Der Begriff wurde von F. H. Jacobi
geprägt, vgl. Anm. 45.
Jan Assmann
hat doch wenigstens im Rahmen seiner eigenen Kultur eine beacht-
liche, ebenfalls jahrtausendelange Rezeptionsgeschichte gehabt.
Hier aber geht es um einen Text, der von keinen Schriftgelehrten
tradiert und ausgelegt wurde, sondern unmittelbar nach seiner
ersten Zirkulation wieder in Versenkung und Vergessenheit geraten
ist.
Um so überraschender ist nun, daß der Hymnus sofort nach sei-
ner Wiederentdeckung eine Resonanz fand, wie sie keinem anderen
ägyptischen Text beschieden war. Die Sensation dieses Textes
besteht darin, daß er einen Monotheismus reinster Prägung vertritt,
der in seiner radikalen Leugnung aller anderen Götter, ja der Ver-
meidung des Wortes „Gott“ - im Singular und vor allem im Plural -
noch über die biblischen Texte weit hinausgeht. Echnatons Mono-
theismus - darin liegt der entscheidende Unterschied zum bibli-
schen - ist „kosmotheistisch“62, er beruht auf der Verehrung einer
kosmischen Macht, die sich als Sonne und zwar in Licht und Zeit,
Strahlung und Bewegung, manifestiert. Seine Offenbarung besteht
nicht in moralischen Gesetzen und geschichtlichem Handeln, son-
dern in der Erkenntnis, daß sich alles - die gesamte sichtbare und
unsichtbare Wirklichkeit - auf das Wirken von Licht und Zeit, und
damit der Sonne, zurückführen läßt. Echnaton glaubte das eine
Prinzip entdeckt zu haben, aus dem die Welt hervorging und täglich
aufs neue hervorgeht. Da er kosmotheistisch dachte, war es für ihn
selbstverständlich, daß dieses Prinzip ein Gott sei; und da dieses
Prinzip einzig war und als ein einziges alle anderen aus ihm abzulei-
ten gestattete, war es für ihn weiterhin klar, daß es neben diesem
keine anderen Götter geben könne. Das war keine Frage von
„Treue“ und „Eifersucht“ (qn 9, wie im frühen biblischen Henotheis-
mus, sondern von Wissen und Wahrheit. Mit dieser Erkenntnis
stellt sich Echnaton an den Anfang einer Reihe, die erst 700 Jahre
später die jonischen Naturphilosophen fortsetzen mit ihrer Frage
nach dem einen, alles bedingenden und alles erklärenden Prinzip,
62 Vgl. z. B. Verf., Stein und Zeit, Mensch und Gesellschaft im Alten Ägypten, Mün-
chen 1991,59ff. Unter „Kosmotheismus“ verstehe ich ein auf der Übersetzung
von der Göttlichkeit des Kosmos beruhendes Weltverständnis, das diese Gött-
lichkeit zunächst und natürlicherweise als Vielheit erfährt, aber dabei die Ein-
heit des Kosmos immer mitdenkt und sie schließlich sogar als das dominie-
rende Prinzip ins Zentrum rücken kann. Der Begriff wurde von F. H. Jacobi
geprägt, vgl. Anm. 45.