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Jan Assmann
entfaltet das traditionelle polytheistische Weltbild den Sonnenlauf;
auch darüber wäre viel zu sagen, aber es ist hier nicht unser Thema.
Denn mit diesem Sonnengott und diesem Weltbild hat der Gott
Echnatons nichts zu tun. Er ist bei seinem Lauf allein. Alle mythi-
schen Bilder sind aus den neuen Texten verbannt. Es gibt keinen
Feind, keine Himmelsmutter, keinen Vater in der Unterwelt. Der
Sonnenlauf hat nichts zu tun mit Geburt und Tod, Gerechtigkeit
und Herrschaft und anderen Bildern, in denen sich die Existenzia-
lien der Menschenwelt spiegeln. Mit diesen Mythen wird radikal
gebrochen. Das neue Bild vom Sonnenlauf ist antimythisch, anti-
konstellativ und anti-anthropomorph. Von diesem Gott wird nur
das ausgesagt, was das forschende Auge und der denkende Geist
des Königs als Wirkungen von Licht und Bewegung der Sonne aus-
zumachen vermag: also eine strikt heliomorphe Theologie.
Als Religionsstifter war Echnaton ein Aufklärer und Bilderstür-
mer. Die umwälzende Stoßkraft der neuen Lehre äußert sich mehr
in dem, was sie negiert, verwirft und ausschließt als in dem, was sie
positiv darlegt. Diese negierende Stoßkraft äußert sich aber nicht in
Worten, sondern in Taten, in Form einer großangelegten Razzia,
hinter der die Josianische Kultreform in Israel 600 Jahre später an
Radikalität weit zurückbleibt. Polizei und Militär durchstreiften das
Land, um in allen Inschriften den Namen des verfemten Gottes
Amun zu tilgen; auch andere Götternamen sowie der Plural des
Wortes „Gott“ wurden verfolgt, aber weniger systematisch.65 Die tra-
ditionelle Religion sollte genauso totgeschwiegen und vergessen
werden, wie es später mit der neuen Religion geschah. Was an die
Stelle einer ungeheuren Fülle traditioneller Tempel und Kulte,
Riten und Feste, Mythen, Hymnen, Bilder gesetzt wird, sind eine
Handvoll Hymnen, die die neue Lehre entfalten, ein puritanischer
Kult ohne Magie und Symbolik und eine massive Präsenz der
königlichen Familie. Zweifellos hätte sich das alles noch ausgebaut
und angereichert, wenn der neuen Religion wenigstens einige Jahr-
hunderte der Entfaltung vergönnt gewesen wären. So fassen wir sie
in diesen Texten nur in ihrem allerersten Anfangsstadium. Dies
65 Die Zerstörungen erstreckten sich im Süden bis Kawa, Soleb und Faras in
Nubien. Vgl. R. Hari, „La religion amarnienne et la tradition polytheiste“, in:
Studien zur Sprache und Religion Ägyptens (Fs. W. Westendorf), Wiesbaden 1984,
1039-55; Ramadan Saad (1972), Lei martelages de la xviii.e dynastie dans le tem-
ple d’Amon-Re d Karnak, unpubl. Diss., Lyon (non vidi).
Jan Assmann
entfaltet das traditionelle polytheistische Weltbild den Sonnenlauf;
auch darüber wäre viel zu sagen, aber es ist hier nicht unser Thema.
Denn mit diesem Sonnengott und diesem Weltbild hat der Gott
Echnatons nichts zu tun. Er ist bei seinem Lauf allein. Alle mythi-
schen Bilder sind aus den neuen Texten verbannt. Es gibt keinen
Feind, keine Himmelsmutter, keinen Vater in der Unterwelt. Der
Sonnenlauf hat nichts zu tun mit Geburt und Tod, Gerechtigkeit
und Herrschaft und anderen Bildern, in denen sich die Existenzia-
lien der Menschenwelt spiegeln. Mit diesen Mythen wird radikal
gebrochen. Das neue Bild vom Sonnenlauf ist antimythisch, anti-
konstellativ und anti-anthropomorph. Von diesem Gott wird nur
das ausgesagt, was das forschende Auge und der denkende Geist
des Königs als Wirkungen von Licht und Bewegung der Sonne aus-
zumachen vermag: also eine strikt heliomorphe Theologie.
Als Religionsstifter war Echnaton ein Aufklärer und Bilderstür-
mer. Die umwälzende Stoßkraft der neuen Lehre äußert sich mehr
in dem, was sie negiert, verwirft und ausschließt als in dem, was sie
positiv darlegt. Diese negierende Stoßkraft äußert sich aber nicht in
Worten, sondern in Taten, in Form einer großangelegten Razzia,
hinter der die Josianische Kultreform in Israel 600 Jahre später an
Radikalität weit zurückbleibt. Polizei und Militär durchstreiften das
Land, um in allen Inschriften den Namen des verfemten Gottes
Amun zu tilgen; auch andere Götternamen sowie der Plural des
Wortes „Gott“ wurden verfolgt, aber weniger systematisch.65 Die tra-
ditionelle Religion sollte genauso totgeschwiegen und vergessen
werden, wie es später mit der neuen Religion geschah. Was an die
Stelle einer ungeheuren Fülle traditioneller Tempel und Kulte,
Riten und Feste, Mythen, Hymnen, Bilder gesetzt wird, sind eine
Handvoll Hymnen, die die neue Lehre entfalten, ein puritanischer
Kult ohne Magie und Symbolik und eine massive Präsenz der
königlichen Familie. Zweifellos hätte sich das alles noch ausgebaut
und angereichert, wenn der neuen Religion wenigstens einige Jahr-
hunderte der Entfaltung vergönnt gewesen wären. So fassen wir sie
in diesen Texten nur in ihrem allerersten Anfangsstadium. Dies
65 Die Zerstörungen erstreckten sich im Süden bis Kawa, Soleb und Faras in
Nubien. Vgl. R. Hari, „La religion amarnienne et la tradition polytheiste“, in:
Studien zur Sprache und Religion Ägyptens (Fs. W. Westendorf), Wiesbaden 1984,
1039-55; Ramadan Saad (1972), Lei martelages de la xviii.e dynastie dans le tem-
ple d’Amon-Re d Karnak, unpubl. Diss., Lyon (non vidi).