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Jan Ass mann
nicht mehr in den mythischen Bildern, die es transparent machen
auf menschliches Schicksal, sondern in der Bio-Physik der natürli-
chen Vorgänge.
Der zweite Teil des Hymnus besingt die Schöpfung. In seiner
traditionellen Form ist das ein mythisches Thema, das von der aller-
ersten Ur-Zeit erzählt. Echnaton beschränkt sich auf die sinnlich
erfahrbare Gegenwart und behandelt Schöpfung einerseits als
Embryogonie: das Entstehen des Lebens im Mutterleib, und ande-
rerseits als Ökologie: die weise Einrichtung der Welt, in der alle auf
ihre Weise versorgt sind. Die Welt ist nun nicht mehr wie früher ein-
fach mit Ägypten gleichgesetzt, sondern umfaßt viele Länder und
Völker, unterschieden nach Hautfarben, Sprachen und Lebensbe-
dingungen. Denn nur Ägypten lebt vom Wasser, das aus der Tiefe
kommt, die anderen leben vom Regen, dem „Nil am Himmel“.67 Der
dritte Teil ist der neuartigste von allen, er hat überhaupt kein Vor-
bild in der Tradition. Er kreist um einen ägyptischen Begriff, den
man mit den Worten „Verwandlung, Verkörperung, Emanation“
umschreiben kann, abgeleitet von dem ägyptischen Wort für „wer-
den, entstehen“, das mit dem Bild des Skarabäus geschrieben wird.
Der Skarabäus ist das Symbol für diese Urkraft des Werdens, die
den Ägypter genauso fasziniert hat, wie die Griechen das entgegen-
gesetzte Prinzip des „Seins“. In diesem Teil geht es um das „Werden“
der Sonne, die, indem sie scheint und sich bewegt, zu dem wird, was
sie hervorbringt und sichtbar macht. Dabei ist aber auch die sicht-
bare Sonne selbst eine Verkörperung des Gottes: sie ist seine Ver-
körperung am Himmel, die Schöpfungswelt seine millionenfache
Verkörperung auf Erden. Im Begriff der Verkörperung verwischen
sich die Grenzen von Schöpfer und Geschöpf. Alles, was im Licht
sichtbar wird, geht als Verkörperung aus ihm hervor. Die vom Licht
erschlossene, geordnete, begehbare Welt: „Städte und Dörfer,
Acker, Weg und Fluß“, ist Verkörperung Gottes.
Gott und Schöpfung sind zwar im Leuchten und Schauen innig
verbunden, aber diese Verbundenheit vollzieht sich nicht in der
67 Für das Motiv der verschiedenen Bewässerungsbedingungen als Aspekt der
wohleingerichteten Welt vgl. auch den ersten Teil von Ps. 104. Das Motiv des
„Nils am Himmel“ kommt auch sonst in ägyptischen Hymnen vor, vgl. ÄHG Nr.
127B, 45f.; Nr. 195,166; 143, 46, lOOff., 164f. (cf. p. 590 ad loc.); 144C, 39; 214,
29-32 (Totenbuch Kap. 183); 242, 7-8 (cf. Plaas, D. v. d., De hymne aan de over-
stromingvan deNijl, Diss. Utrecht (1980), 16f. und 60-63); cf. A. P. Zivie (1983),
„Regen“, in: Lexikon der Ägyptologie V, 201-206, bes. 202 und 204.
Jan Ass mann
nicht mehr in den mythischen Bildern, die es transparent machen
auf menschliches Schicksal, sondern in der Bio-Physik der natürli-
chen Vorgänge.
Der zweite Teil des Hymnus besingt die Schöpfung. In seiner
traditionellen Form ist das ein mythisches Thema, das von der aller-
ersten Ur-Zeit erzählt. Echnaton beschränkt sich auf die sinnlich
erfahrbare Gegenwart und behandelt Schöpfung einerseits als
Embryogonie: das Entstehen des Lebens im Mutterleib, und ande-
rerseits als Ökologie: die weise Einrichtung der Welt, in der alle auf
ihre Weise versorgt sind. Die Welt ist nun nicht mehr wie früher ein-
fach mit Ägypten gleichgesetzt, sondern umfaßt viele Länder und
Völker, unterschieden nach Hautfarben, Sprachen und Lebensbe-
dingungen. Denn nur Ägypten lebt vom Wasser, das aus der Tiefe
kommt, die anderen leben vom Regen, dem „Nil am Himmel“.67 Der
dritte Teil ist der neuartigste von allen, er hat überhaupt kein Vor-
bild in der Tradition. Er kreist um einen ägyptischen Begriff, den
man mit den Worten „Verwandlung, Verkörperung, Emanation“
umschreiben kann, abgeleitet von dem ägyptischen Wort für „wer-
den, entstehen“, das mit dem Bild des Skarabäus geschrieben wird.
Der Skarabäus ist das Symbol für diese Urkraft des Werdens, die
den Ägypter genauso fasziniert hat, wie die Griechen das entgegen-
gesetzte Prinzip des „Seins“. In diesem Teil geht es um das „Werden“
der Sonne, die, indem sie scheint und sich bewegt, zu dem wird, was
sie hervorbringt und sichtbar macht. Dabei ist aber auch die sicht-
bare Sonne selbst eine Verkörperung des Gottes: sie ist seine Ver-
körperung am Himmel, die Schöpfungswelt seine millionenfache
Verkörperung auf Erden. Im Begriff der Verkörperung verwischen
sich die Grenzen von Schöpfer und Geschöpf. Alles, was im Licht
sichtbar wird, geht als Verkörperung aus ihm hervor. Die vom Licht
erschlossene, geordnete, begehbare Welt: „Städte und Dörfer,
Acker, Weg und Fluß“, ist Verkörperung Gottes.
Gott und Schöpfung sind zwar im Leuchten und Schauen innig
verbunden, aber diese Verbundenheit vollzieht sich nicht in der
67 Für das Motiv der verschiedenen Bewässerungsbedingungen als Aspekt der
wohleingerichteten Welt vgl. auch den ersten Teil von Ps. 104. Das Motiv des
„Nils am Himmel“ kommt auch sonst in ägyptischen Hymnen vor, vgl. ÄHG Nr.
127B, 45f.; Nr. 195,166; 143, 46, lOOff., 164f. (cf. p. 590 ad loc.); 144C, 39; 214,
29-32 (Totenbuch Kap. 183); 242, 7-8 (cf. Plaas, D. v. d., De hymne aan de over-
stromingvan deNijl, Diss. Utrecht (1980), 16f. und 60-63); cf. A. P. Zivie (1983),
„Regen“, in: Lexikon der Ägyptologie V, 201-206, bes. 202 und 204.