Monotheismus
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Sprache und im verstehenden Geist. Das ist allein die Sache des
Königs. Die Geschöpfe haben Augen, Gott zu schauen, aber nur er
hat das verstehende Herz, ihn zu erkennen. Sein Herz ist der ein-
zige ruhende Pol in diesem ständigen Wechsel von Licht und Fin-
sternis, Leben und Tod, Werden und Vergehen, der einzige Ort, an
dem der Gott auch des Nachts anwesend ist. Denn die Welt - sie ent-
steht auf Gottes Wink, wie er sie geschaffen hat:
Gehst du auf, so leben sie;
gehst du unter, so sterben sie.
Du selbst bist die Zeit, in der und durch die man lebt.68
Das ist die große Entdeckung des Königs. Daß die Welt von der
Sonne lebt und vom Licht, das aus ihr hervorgeht, hat man schon
vor ihm erkannt. Aber daß auch die Zeit aus ihr hervorgeht - das war
die revolutionierende These, die nun schlechthin alles als Werk der
Sonne erkärbar macht.
Darf man von einer „Offenbarung“ sprechen? Das hängt davon
ab, was man unter diesem Begriff verstehen will. Zwei Motive schei-
nen sich unabdingbar mit dem Begriff der Offenbarung zu verbin-
den, und beide fehlen im Zusammenhang der Amarna-Religion:
„Verborgenheit“ und „Botschaft“. Offenbart werden bzw. sich offen-
baren kann nur das bzw. der Verborgene. Was ist an der Sonne ver-
borgen? Inhalt einer Offenbarung ist üblicherweise der Wille Got-
tes, z.B. kodifiziert in Gestalt der 10 Gebote, oder die Zukunft, z. B.
in der Offenbarung des Johannes („Offenbarung“ ist die Überset-
zung des griechischen Terminus άποκάλυψις). Nichts davon läßt
sich auch nur andeutungsweise in ägyptischen Quellen finden. Es
gibt aber daneben auch einen ägyptischen Begriff von Offenbarung.
Er begegnet in den unter dem Stichwort „Persönliche Frömmigkeit“
überlieferten Texten und läßt sich als „Findung“ wiedergeben. Nach
ägyptischer Auffassung offenbart Gott sich nicht, sondern er wird
„gefunden“, was natürlich einen vorgängigen Akt göttlicher Selbst-
manifestation zur Voraussetzung hat. Ein Beleg gehört noch ans
Ende der Amarnazeit. Es handelt sich um ein Lied an Amun, das in
einem thebanischen Grab aufgezeichnet wurde und offensichtlich
aus der Zeit der Verfolgung stammt, da es von der Sehnsucht nach
dem vertriebenen Gott handelt.
68 Μ. Sandman, Texts from the time of Akhenaten, BAeg VIII (1938), 95. 17-18. Cf.
VerfZeit und Ewigkeit im Alten Ägypten. Ein Beitrag zur Geschichte der Ewigkeit,
Heidelberg 1975, 55.
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Sprache und im verstehenden Geist. Das ist allein die Sache des
Königs. Die Geschöpfe haben Augen, Gott zu schauen, aber nur er
hat das verstehende Herz, ihn zu erkennen. Sein Herz ist der ein-
zige ruhende Pol in diesem ständigen Wechsel von Licht und Fin-
sternis, Leben und Tod, Werden und Vergehen, der einzige Ort, an
dem der Gott auch des Nachts anwesend ist. Denn die Welt - sie ent-
steht auf Gottes Wink, wie er sie geschaffen hat:
Gehst du auf, so leben sie;
gehst du unter, so sterben sie.
Du selbst bist die Zeit, in der und durch die man lebt.68
Das ist die große Entdeckung des Königs. Daß die Welt von der
Sonne lebt und vom Licht, das aus ihr hervorgeht, hat man schon
vor ihm erkannt. Aber daß auch die Zeit aus ihr hervorgeht - das war
die revolutionierende These, die nun schlechthin alles als Werk der
Sonne erkärbar macht.
Darf man von einer „Offenbarung“ sprechen? Das hängt davon
ab, was man unter diesem Begriff verstehen will. Zwei Motive schei-
nen sich unabdingbar mit dem Begriff der Offenbarung zu verbin-
den, und beide fehlen im Zusammenhang der Amarna-Religion:
„Verborgenheit“ und „Botschaft“. Offenbart werden bzw. sich offen-
baren kann nur das bzw. der Verborgene. Was ist an der Sonne ver-
borgen? Inhalt einer Offenbarung ist üblicherweise der Wille Got-
tes, z.B. kodifiziert in Gestalt der 10 Gebote, oder die Zukunft, z. B.
in der Offenbarung des Johannes („Offenbarung“ ist die Überset-
zung des griechischen Terminus άποκάλυψις). Nichts davon läßt
sich auch nur andeutungsweise in ägyptischen Quellen finden. Es
gibt aber daneben auch einen ägyptischen Begriff von Offenbarung.
Er begegnet in den unter dem Stichwort „Persönliche Frömmigkeit“
überlieferten Texten und läßt sich als „Findung“ wiedergeben. Nach
ägyptischer Auffassung offenbart Gott sich nicht, sondern er wird
„gefunden“, was natürlich einen vorgängigen Akt göttlicher Selbst-
manifestation zur Voraussetzung hat. Ein Beleg gehört noch ans
Ende der Amarnazeit. Es handelt sich um ein Lied an Amun, das in
einem thebanischen Grab aufgezeichnet wurde und offensichtlich
aus der Zeit der Verfolgung stammt, da es von der Sehnsucht nach
dem vertriebenen Gott handelt.
68 Μ. Sandman, Texts from the time of Akhenaten, BAeg VIII (1938), 95. 17-18. Cf.
VerfZeit und Ewigkeit im Alten Ägypten. Ein Beitrag zur Geschichte der Ewigkeit,
Heidelberg 1975, 55.