34
Jan Assmann
lichkeit hinaus? Man kann das an zwei religiösen Ideen klarmachen,
die für den Ägypter zentral waren und die in Echnatons Hymnus in
eklatanter Weise fehlen, d. h. der Zensur seiner negativen Offenba-
rung zum Opfer gefallen sind; die Ideen der Unsterblichkeit und der
Gerechtigkeit. Die traditionelle Vision des Sonnenlaufs ist die
„Heilsgeschichte“ der alten Ägypter: jeder hofft, nach dem Tode zu
einem Osiris zu werden und in der mitternächtlichen Vereinigung
mit der Sonne am kosmischen Leben Anteil zu gewinnen, jeder
hofft, als „Ba“dem Sonnengott auf seiner Bahn zu folgen und einen
Platz in der Barke der Millionen einzunehmen.80 Die diesseitigen
Hoffnungen der Ägypter richten sich auf Gerechtigkeit. Wie der
Sonnengott das Böse am Himmel bekämpft, so wird er auch auf
Erden den Bedrängten beistehen.81 So preist ihn ein älterer Hym-
nus:
Sei gegrüßt, Re, Herr der Gerechtigkeit,
der seinen Schrein verborgen hält, Herr der Götter,
(...) der das Flehen hört dessen, der in Bedrängnis ist,
wohlgeneigten Herzens dem, der zu ihm ruft;
der den Furchtsamen errettet aus der Hand des Gewalttätigen
und richtet zwischen Arm und Reich.82
Davon ist in Echnatons Hymnus keine Rede mehr. Gott ist für ihn
nichts als Licht und Zeit; er überwindet weder den Tod noch das
Böse, die beide in diesem Weltbild keinen Platz mehr haben. Echna-
ton war ein Aufklärer und er scheiterte, weil er (wie die Stifter der
Vernunftreligion in der Französischen Revolution) Aufklärung als
Religionsstiftung ins Werk setzte.
Diese Andeutungen müssen hier genügen, um einen Begriff von
Echnatons Monotheismus zu bekommen. Es dürfte aber klar
geworden sein, daß dieser Monotheismus mit dem biblischen
wenig zu tun hat - bis auf einen einzigen vergleichbaren Punkt: den
antipolytheistischen Impuls. Durch diesen Impuls baut sich bereits
im Ägypten des 14. Jh. v. Chr. schon einmal für eine kurze Weile
jener Konflikthorizont auf, innerhalb dessen Einheit und Vielheit
80 Vgl. hierzu Verf., Re und Amun, Kap. 2; Verf., Ma’at. Gerechtigkeit und Unsterb-
lichkeit im alten Ägypten, München 1990, Kap. 6.
81 Zum typischen Zusammenhang von „Licht“ und „Gerechtigkeit“ im altorienta-
lischen Denken vgl. B. Janowski, Rettungsgewißheit und Epiphanie des Heils. Das
Motiv der Hilfe Gottes „am Morgen“ im Alten Orient und im Alten Testament, vol.I:
Alter Orient, Neukirchen 1989.
82 Pap. Kairo 58038, IV, 1-5, vgl. dazu Re und Amun, 176ff.
Jan Assmann
lichkeit hinaus? Man kann das an zwei religiösen Ideen klarmachen,
die für den Ägypter zentral waren und die in Echnatons Hymnus in
eklatanter Weise fehlen, d. h. der Zensur seiner negativen Offenba-
rung zum Opfer gefallen sind; die Ideen der Unsterblichkeit und der
Gerechtigkeit. Die traditionelle Vision des Sonnenlaufs ist die
„Heilsgeschichte“ der alten Ägypter: jeder hofft, nach dem Tode zu
einem Osiris zu werden und in der mitternächtlichen Vereinigung
mit der Sonne am kosmischen Leben Anteil zu gewinnen, jeder
hofft, als „Ba“dem Sonnengott auf seiner Bahn zu folgen und einen
Platz in der Barke der Millionen einzunehmen.80 Die diesseitigen
Hoffnungen der Ägypter richten sich auf Gerechtigkeit. Wie der
Sonnengott das Böse am Himmel bekämpft, so wird er auch auf
Erden den Bedrängten beistehen.81 So preist ihn ein älterer Hym-
nus:
Sei gegrüßt, Re, Herr der Gerechtigkeit,
der seinen Schrein verborgen hält, Herr der Götter,
(...) der das Flehen hört dessen, der in Bedrängnis ist,
wohlgeneigten Herzens dem, der zu ihm ruft;
der den Furchtsamen errettet aus der Hand des Gewalttätigen
und richtet zwischen Arm und Reich.82
Davon ist in Echnatons Hymnus keine Rede mehr. Gott ist für ihn
nichts als Licht und Zeit; er überwindet weder den Tod noch das
Böse, die beide in diesem Weltbild keinen Platz mehr haben. Echna-
ton war ein Aufklärer und er scheiterte, weil er (wie die Stifter der
Vernunftreligion in der Französischen Revolution) Aufklärung als
Religionsstiftung ins Werk setzte.
Diese Andeutungen müssen hier genügen, um einen Begriff von
Echnatons Monotheismus zu bekommen. Es dürfte aber klar
geworden sein, daß dieser Monotheismus mit dem biblischen
wenig zu tun hat - bis auf einen einzigen vergleichbaren Punkt: den
antipolytheistischen Impuls. Durch diesen Impuls baut sich bereits
im Ägypten des 14. Jh. v. Chr. schon einmal für eine kurze Weile
jener Konflikthorizont auf, innerhalb dessen Einheit und Vielheit
80 Vgl. hierzu Verf., Re und Amun, Kap. 2; Verf., Ma’at. Gerechtigkeit und Unsterb-
lichkeit im alten Ägypten, München 1990, Kap. 6.
81 Zum typischen Zusammenhang von „Licht“ und „Gerechtigkeit“ im altorienta-
lischen Denken vgl. B. Janowski, Rettungsgewißheit und Epiphanie des Heils. Das
Motiv der Hilfe Gottes „am Morgen“ im Alten Orient und im Alten Testament, vol.I:
Alter Orient, Neukirchen 1989.
82 Pap. Kairo 58038, IV, 1-5, vgl. dazu Re und Amun, 176ff.