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Assmann, Jan; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1993, 2. Abhandlung): Monotheismus und Kosmotheismus: ägyptische Formen eines "Denkens des Einen" und ihre europäische Rezeptionsgeschichte ; vorgetragen am 24. April 1993 — Heidelberg: Winter, 1993

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https://doi.org/10.11588/diglit.48168#0049
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Monotheismus

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wird der Gegensatz zwischen Einheit und Vielheit durch den
Begriff der Verborgenheit.115 Im All-Einheits-Monotheismus haben
wir das genaue Gegenstück zum revolutionären Einzigkeits-Mono-
theismus vor uns und können diese beiden Religionsformen als
Offenbarungs- und Verborgenheitsmonotheismus unterscheiden.
Im einen Fall offenbart sich der Eine, im anderen verbirgt er sich.
Wo er sich offenbart, verdrängt, negiert, zerstört er die Vielen, ver-
weist sie in das Außen der ihm geltenden Religion, d. h. der von ihm
geschaffenen Welt und geoffenbarten Wahrheit. Wo er sich verbirgt,
gibt er ihnen Raum. Dieser Raum ist die Welt der Erscheinungen, in
der der Verborgene, insofern er verborgen ist, gerade nicht
erscheint, aber die doch von ihm in keiner Weise negiert, sondern
im Gegenteil fundiert und erhalten wird.
Wir gelangen so zu einer anderen Unterscheidung als der, von
der wir ausgegangen waren. Ausgegangen waren wir von der Unter-
scheidung zwischen kosmologischem und politischem Monotheis-
mus. Die Unterscheidung zwischen einem revolutionären Mono-
theismus, der mit Offenbarkeit und Offenbarung einhergeht und
auf dem Begriff der Einzigkeit basiert, und einem evolutionären
Monotheismus, der sich mit Verborgenheit und Geheimnis verbin-
det und den Begriff der All-Einheit entwickelt, steht dazu quer.
Denn der Amarna-Monotheismus ist, genau wie der biblische, revo-

ist kultischer Verehrung gar nicht zugänglich, kümmert sich nicht um die
Belange der Menschen und hat daher für das religiöse Leben der Gruppe nur
geringe Bedeutung. Viel wichtiger sind z. B. die Ahnen. Die Muße oder Weltab-
wendung Gottes ist hier nichts anderes als eine logische Figur im Denken von
Einheit und Vielheit. Uns ist diese Form eines Urheber-Monotheismus vor
allem in der Form des Deismus vertraut. Damit ist zugleich klargestellt, daß es
sich hier nicht unbedingt um ein besonders ursprüngliches Phänomen handeln
muß, wie es die Urmonotheismustheorie von P. W. Schmidt postuliert.
115 Man kann aber ohne größere Schwierigkeit die Weltabgewandtheit des deus
otiosus als eine Sonderform von Verborgenheit einstufen, muß sich nur darüber
im Klaren sein, daß die Verborgenheit, um die es hier geht, von sich aus nichts
mit Muße zu tun hat. Dieser Eine ist zwar verborgen, aber alles andere als ein
deus otiosus. Allerdings kann diese Dialektik auch zugunsten des Einen in eine
Negation der Erscheinungswelt umschlagen. Das Beispiel hierfür ist Indien. So
gesehen liegt es nahe, die rfewi-ohoiUi-Vorstellung als eine Variante in der
Gegenrichtung einzustufen. Hier ist die Dialektik zwischen dem Einen und den
Vielen zugunsten der Vielen umgeschlagen. Im einen Fall verblaßt die Erschei-
nungswelt zum bloßen Schein, zu einer illusionären Sinnestäuschung, im
anderen verblaßt der Eine zu einer Abstraktion ohne Bedeutung für das reli-
giöse Leben.
 
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