Vom gesunden Menschenverstand
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lieh zu77 - sofern sie ihre Wissenschaft nicht durch praktische
Anwendung profanierten. Auch die am Mouseion von Alexan-
drien fest angestellten Fachgelehrten führten seit dessen Grün-
dung den Philosophentitel, denn diese Forschungsstätte war ins
Leben gerufen worden, als die aristotelische, die Fachwissenschaf-
ten einschließende Konzeption der Philosophie als einer umfas-
senden Erforschung der Wirklichkeit in manchen Kreisen, vor
allem in der Schule des Aristoteles, noch galt78.
Plutarch hat in einer seiner Biographien eine offenbar aus älte-
rer Quelle stammende Würdigung des großen Mathematikers
Archimedes erhalten79. Mit Hilfe der von diesem konstruierten
Maschinen konnte die Stadt Syrakus im 2. Punischen Krieg am
Ende des 3. Jh. v.C. lange Zeit den römischen Belagerern standhal-
ten. Trotz der Berühmtheit, die ihm seine vielen Erfindungen ein-
trugen, verschmähte es Archimedes, darüber jemals etwas zu
schreiben. Er hielt nämlich intellektuelle Leistung, die praktischen
Zwecken dient, für banausisch und beschränkte seine literarische
Tätigkeit auf die reine Mathematik. Freilich, man erzählte von ihm,
daß er Essen und Körperpflege vergaß und mit sanfter Gewalt zum
Baden gebracht werden mußte. Er pflegte geometrische Figuren
auf jede freie Fläche zu zeichnen, auch auf den eigenen Körper,
wenn dieser nach einem Bade mit Oel eingerieben war. Dabei
zeigte er sich beglückt wie ein mousoleptos, ein von den Musen
ergriffener Künstler. Auf seinem Grab sollte nicht die übliche
Inschrift von seinen Verdiensten künden. Er wünschte sich statt
dessen die Figur eines Zylinders, der eine Kugel umschließt,
zusammen mit der Formel für das Verhältnis, in dem die Volumina
der beiden Körper zueinander stehen80.
Was ist der Sinn der in diesem eigentümlichen Text festgehal-
tenen Überlieferung, die Plutarch im Anschluß an den Bericht über
die Belagerung von Syrakus, die damit verbundenen technischen
Leistungen des Archimedes und seinen Tod durch die Hand eines
römischen Soldaten referiert? Es soll wohl der Nutzen gezeigt wer-
den, den die Mitwelt aus einem nur der Betrachtung gewidmeten,
aller Praxis und Weltklugheit, ja dem gesunden Menschenverstand
77 Stellen bei Dihle o. Anm. 41, 211 ff.
78 Stellen bei Dihle o. Anm. 41, 201.
79 Plut. Marcell. 17.
80 Der Grabstein Max Plancks zeigt außer dem Namen und den Lebensdaten die
Quantenformel.
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lieh zu77 - sofern sie ihre Wissenschaft nicht durch praktische
Anwendung profanierten. Auch die am Mouseion von Alexan-
drien fest angestellten Fachgelehrten führten seit dessen Grün-
dung den Philosophentitel, denn diese Forschungsstätte war ins
Leben gerufen worden, als die aristotelische, die Fachwissenschaf-
ten einschließende Konzeption der Philosophie als einer umfas-
senden Erforschung der Wirklichkeit in manchen Kreisen, vor
allem in der Schule des Aristoteles, noch galt78.
Plutarch hat in einer seiner Biographien eine offenbar aus älte-
rer Quelle stammende Würdigung des großen Mathematikers
Archimedes erhalten79. Mit Hilfe der von diesem konstruierten
Maschinen konnte die Stadt Syrakus im 2. Punischen Krieg am
Ende des 3. Jh. v.C. lange Zeit den römischen Belagerern standhal-
ten. Trotz der Berühmtheit, die ihm seine vielen Erfindungen ein-
trugen, verschmähte es Archimedes, darüber jemals etwas zu
schreiben. Er hielt nämlich intellektuelle Leistung, die praktischen
Zwecken dient, für banausisch und beschränkte seine literarische
Tätigkeit auf die reine Mathematik. Freilich, man erzählte von ihm,
daß er Essen und Körperpflege vergaß und mit sanfter Gewalt zum
Baden gebracht werden mußte. Er pflegte geometrische Figuren
auf jede freie Fläche zu zeichnen, auch auf den eigenen Körper,
wenn dieser nach einem Bade mit Oel eingerieben war. Dabei
zeigte er sich beglückt wie ein mousoleptos, ein von den Musen
ergriffener Künstler. Auf seinem Grab sollte nicht die übliche
Inschrift von seinen Verdiensten künden. Er wünschte sich statt
dessen die Figur eines Zylinders, der eine Kugel umschließt,
zusammen mit der Formel für das Verhältnis, in dem die Volumina
der beiden Körper zueinander stehen80.
Was ist der Sinn der in diesem eigentümlichen Text festgehal-
tenen Überlieferung, die Plutarch im Anschluß an den Bericht über
die Belagerung von Syrakus, die damit verbundenen technischen
Leistungen des Archimedes und seinen Tod durch die Hand eines
römischen Soldaten referiert? Es soll wohl der Nutzen gezeigt wer-
den, den die Mitwelt aus einem nur der Betrachtung gewidmeten,
aller Praxis und Weltklugheit, ja dem gesunden Menschenverstand
77 Stellen bei Dihle o. Anm. 41, 211 ff.
78 Stellen bei Dihle o. Anm. 41, 201.
79 Plut. Marcell. 17.
80 Der Grabstein Max Plancks zeigt außer dem Namen und den Lebensdaten die
Quantenformel.