Metadaten

Heckel, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1995, 3. Abhandlung): Die deutsche Einheit als Verfassungsfrage: wo war das Volk? ; vorgetragen am 11. Februar 1995 — Heidelberg: Univ.-Verl. Winter, 1995

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48183#0015
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die deutsche Einheit als Verfassungsfrage

13

Kompetenzen überschritten habe und diese nicht durch Selbstermäch-
tigung verlängern könne, nachdem ihre Rechtsgrundlagen durch Zeit-
ablauf entfallen seien. Damit hätten die verfaßten Gewalten die Ver-
fassunggebende Gewalt des Volkes usurpiert und das Verhältnis zwi-
schen der verfaßten und der Verfassunggebenden Gewalt pervertiert.
Die fünfte: Plebiszitäre Ergänzungsmöglichkeit des Verfassungsände-
rungsv erfahrens8. Diese am häufigsten vertretene Variante reduziert
Art. 146 GG n.F. zur bloßen Ergänzung des normalen Verfassungsän-
derungsverfahrens in Art. 79 Abs. 1 und 2, indem dieses bei den bei-
trittsbedingten Verfassungsänderungen zusätzlich durch ein Referen-
dum des Volkes angereichert werden könne. Dadurch sei der deutschen
Einigung eine breite, unmittelbare demokratische Legitimation zu ver-
leihen, also das plebiszitäre Defizit beim Grundgesetzerlaß und beim
Beitritt der DDR wettzumachen.
Die sechste: Parallelform verfassungsrechtlicher Rechtsetzung neben
dem normalen Verfassungänderungsverfahren9. Diese Theorie sieht in
Art. 146 GG n. F. eine selbständige Parallelfigur neben der in Art. 79
Abs. 1 und 2 GG geregelten Verfassungsänderung. Art. 146 GG n.F. be-
treffe nicht den qualifizierten Gesetzgeber, sondern die „domestizierte“
Verfassunggebende Gewalt: Diese sei zwar gebunden an die Unver-
brüchlichkeitsgarantie der Verfassungsfundamente in Art. 79 Abs. 3
GG, aber dispensiert vom Verfassungsänderungsverfahren des Art. 79
Abs. 1 und 2 GG, weshalb eine Verfassungsablösung nach Art. 146 GG
n. F. mit einfachen statt mit qualifizierten Mehrheiten beschlossen wer-
den könne, das Grundgesetz also jeweils zur Disposition des Wahlsie-
gers stehen soll.
Klaus Stern, Der verfassungsändernde Charakter des Einigungsvertrages, in: Deutsch-
Deutsche Rechts-Zeitschrift (DtZ) 9 (1990), S. 289 (293 f.); ders., Die Wiederherstel-
lung der staatlichen Einheit, in: ders./Bruno Schmidt-Bleibtreu (Hrsg.), Einigungsver-
trag und Wahlvertrag, S. 49; Eckart Klein, Der Einigungsvertrag, in: DÖV 1991, S. 569
(577 f.). - Vgl. dazu auch Isensee (N 4), HStR Bd. VII, § 166 Rn. 61 ff.; Thomas Wür-
tenberger, Art. 146 GG n. F.: Kontinuität oder Diskontinuität im Verfassungsrecht?, in:
Klaus Stern (Hrsg.), Deutsche Widervereinigung, Bd. 1, Köln u. a. 1991, S. 95 (100 ff.,
104 ff.); Axel v. Campenhausen, Art. 146, Rn. 11 ff., 17,25, in: v. Mangoldt/Klein/v. Cam-
penhausen, Das Bonner Grundgesetz, Bd. 14,3. A., München 1991, S. 356 ü.\Paul Kirch-
hof, Brauchen wir ein erneuertes Grundgesetz?, Heidelberg 1992, S. 15; Fritz Ossenbühl,
Probleme der Verfassungsreform in der Bundesrepublik Deutschland, in: DVB1. 1992,
S. 468 (471); Hubert Weis, Verfassungsrechtliche Fragen im Zusammenhang mit der
Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands, in: AÖR 116 (1991), S. 1 (30).
’ Hans-Peter Schneider, Die Verfassunggebende Gewalt, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof
(Hrsg.), HStR Bd. VII, § 158 Rn. 1 ff., 12,15, 17, 24. 29, 36, 40 ff.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften