Die deutsche Einheit als Verfassungsfrage
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nen das Volk seine Verfassunggebende Gewalt höchst unterschiedlich
ausübte.
Die erste umfaßt die Beseitigung der sozialistischen Verfassung durch
die Zersetzung und Zerstörung ihrer sozialistischen Grundelemente.
Das Volk handelte hier diffus und unorganisiert (als „Gesellschaft“),
nicht mehr sozialistisch sozialisierbar, ideologisch integrierbar, juri-
stisch organisierbar. Es trat auf als Verfassunggeber im negativen Sinn
der Verfassungsbeseitigung, ohne positiven Akt der Machtergreifung
und Verfassunggebung. In diesem Frühstadium blieben viele treibende
Kräfte des Umbruchs stehen, die nicht über die wogenden Diskussio-
nen am Runden Tisch hinauswuchsen, sondern sich in der Negativ-
funktion der Verfassungsbeseitigung verströmten.
Die zweite Phase umfaßt die Billigung und Bestätigung der neuen Ver-
fassungsformulierungen im breiten Konsens der Bevölkerung durch ih-
re Teilnahme an der Volkskammerwahl vom 18. März 1990. Der Form
nach war dies eine einfache Parlamentswahl, der Sache nach aber trug
sie den Charakter einer Wahl zu einer konstituierenden Nationalver-
sammlung: Unverkennbar war sie der Ausdruck eines Aktes der ori-
ginären Verfassunggebenden Gewalt, durch die das Volk sich die geläu-
terte DDR-Verfassung in einem ersten großen juristischen Willensakt zu
eigen machte, d.h. sie erst demokratisch konstituierte und legitimierte.
Der dritte große Akt der Verfassunggebenden Gewalt liegt in der
Entscheidung des Volkes der DDR/ür den baldigen Beitritt gemäß Art.
23 GG a.F. durch die gleiche Volkskammerwahl vom 18. März 1990, weil
diese von den beitrittsbefürwortenden Parteien haushoch gewonnen
wurde. In dieser Entscheidung des Volkes lag die Rechtsgrundlage für
die folgende „Verfassungsänderung“ der DDR-Verfassung vom 21. 6.
1990, die die Übertragung der Hoheitsrechte auf die Bundesrepublik
vorsah und den Abschluß der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion
ermöglichte. Dies hätte die Kompetenzen der verfaßten Gewalten ja
weit überschritten, wenn sie nicht durch die Entscheidung des Volkes
als Verfassunggeber vom 18. März gedeckt, ja geboten worden wäre.
e) Mit der Wahl vom 18. März 1990 ist mithin im Osten die konstitu-
ierende Entscheidung des Volkes als Träger der Verfassunggebenden
Gewalt für den Beitritt nach Art. 23 GG a.F. und damit für die Über-
nahme des Grundgesetzes als Verfassungsgrundlage der deutschen Ei-
nigung gefallen. Das ostdeutsche Parlament hat dies durch den Bei-
trittsbeschluß vom 23. 8. 1990 mit Wirkung vom 3. 10. 1990 vollzogen.
Von einem „Anschluß“ durch die Bundesrepublik in Analogie zum An-
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nen das Volk seine Verfassunggebende Gewalt höchst unterschiedlich
ausübte.
Die erste umfaßt die Beseitigung der sozialistischen Verfassung durch
die Zersetzung und Zerstörung ihrer sozialistischen Grundelemente.
Das Volk handelte hier diffus und unorganisiert (als „Gesellschaft“),
nicht mehr sozialistisch sozialisierbar, ideologisch integrierbar, juri-
stisch organisierbar. Es trat auf als Verfassunggeber im negativen Sinn
der Verfassungsbeseitigung, ohne positiven Akt der Machtergreifung
und Verfassunggebung. In diesem Frühstadium blieben viele treibende
Kräfte des Umbruchs stehen, die nicht über die wogenden Diskussio-
nen am Runden Tisch hinauswuchsen, sondern sich in der Negativ-
funktion der Verfassungsbeseitigung verströmten.
Die zweite Phase umfaßt die Billigung und Bestätigung der neuen Ver-
fassungsformulierungen im breiten Konsens der Bevölkerung durch ih-
re Teilnahme an der Volkskammerwahl vom 18. März 1990. Der Form
nach war dies eine einfache Parlamentswahl, der Sache nach aber trug
sie den Charakter einer Wahl zu einer konstituierenden Nationalver-
sammlung: Unverkennbar war sie der Ausdruck eines Aktes der ori-
ginären Verfassunggebenden Gewalt, durch die das Volk sich die geläu-
terte DDR-Verfassung in einem ersten großen juristischen Willensakt zu
eigen machte, d.h. sie erst demokratisch konstituierte und legitimierte.
Der dritte große Akt der Verfassunggebenden Gewalt liegt in der
Entscheidung des Volkes der DDR/ür den baldigen Beitritt gemäß Art.
23 GG a.F. durch die gleiche Volkskammerwahl vom 18. März 1990, weil
diese von den beitrittsbefürwortenden Parteien haushoch gewonnen
wurde. In dieser Entscheidung des Volkes lag die Rechtsgrundlage für
die folgende „Verfassungsänderung“ der DDR-Verfassung vom 21. 6.
1990, die die Übertragung der Hoheitsrechte auf die Bundesrepublik
vorsah und den Abschluß der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion
ermöglichte. Dies hätte die Kompetenzen der verfaßten Gewalten ja
weit überschritten, wenn sie nicht durch die Entscheidung des Volkes
als Verfassunggeber vom 18. März gedeckt, ja geboten worden wäre.
e) Mit der Wahl vom 18. März 1990 ist mithin im Osten die konstitu-
ierende Entscheidung des Volkes als Träger der Verfassunggebenden
Gewalt für den Beitritt nach Art. 23 GG a.F. und damit für die Über-
nahme des Grundgesetzes als Verfassungsgrundlage der deutschen Ei-
nigung gefallen. Das ostdeutsche Parlament hat dies durch den Bei-
trittsbeschluß vom 23. 8. 1990 mit Wirkung vom 3. 10. 1990 vollzogen.
Von einem „Anschluß“ durch die Bundesrepublik in Analogie zum An-