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Heckel, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1995, 3. Abhandlung): Die deutsche Einheit als Verfassungsfrage: wo war das Volk? ; vorgetragen am 11. Februar 1995 — Heidelberg: Univ.-Verl. Winter, 1995

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https://doi.org/10.11588/diglit.48183#0034
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Martin Heckel

verfahren durch eine Nationalversammlung ist die Mindestdauer der
Debatte für eine sachgerechte Deliberation gewährleistet, die der Ver-
fassungsentscheidung Überzeugungskraft verleiht und sie verantwort-
lich vollziehen läßt. Nur dadurch ist die Anteilnahme der Öffentlichkeit
am umfassenden Meinungsbildungsprozeß möglich, nur dadurch die
Transparenz der Verhandlungen gewährleistet, nur dadurch ein Kon-
sens auf breiter Grundlage zu erreichen und die Integration des plura-
listisch aufgegliederten Volkes in den Verfassungsstaat zu bewirken.
5. Die Grenzen der Verfassunggebenden Gewalt werden in der neue-
ren Lehre zunehmend erkannt und herausgestellt.
a) Gewisse innere Grenzen ergeben sich schon aus den sachlogischen
Strukturen moderner Staatlichkeit411: Verfassunggebung setzt die Exi-
stenz staatlicher Institutionen, Macht, Autorität, Loyalität, Gesetzes-
treue voraus, vor allem aber den allgemeinen Willen zur Bindung an die
„Verfassung“, d.h. zur Bändigung und Gliederung politischer Macht
durch Normen von allgemeiner Geltung und Unverbrüchlichkeit. Da-
mit verträgt sich nicht die Usurpation öffentlicher Gewalt zum peren-
nierenden Revolutionsgeschehen im Dienste welcher Ideologie auch
immer, selbst wenn die unbegrenzte, absolute Gewalt mit plebiszitären
Akklamationen bemäntelt wird. - Ihre Grenze findet die Verfassung-
gebende Gewalt ferner an elementaren , der Verfassung vorausliegen-
den Rechtsgrundsätzen, wie immer man diese das Rechtsleben tragen-
den „naturrechtlichen“ Grundvoraussetzungen allen Rechts charakte-
risieren mag. In Zeiten der Sekurität pflegen sie als schlichter Atavismus
belächelt zu werden, doch brechen sie eruptiv im Bewußtsein auf, so-
bald eine Revolution die bestialischen Züge der menschlichen Natur
zum Vorschein bringt. - Bedeutsame Grenzen zieht der Verfassungge-
benden Gewalt ferner das Völkerrecht, das durch sie zwar verletzt, doch
nicht wie innerstaatliches Verfassungsrecht einseitig und hoheitlich mit
völkerrechtlicher Wirkung beseitigt werden kann.
b) Hingegen ist es eine Illusion, die Verfassunggebende Gewalt durch
Normen des Verfassungsrechts „domestizieren“ zu wollen40 41, wie neuer-
40 Zusammenfassend Isensee, Staat und Verfassung, in: HStR, Bd. I. Heidelberg 1987, § 13
Rn. 3 ff., 8 ff., 14 ff., 17 ff., 45 ff., 50 ff., 65 ff., 91 ff., insbes. Rn 122 ff., 132 ff., 143,161 ff.;
Paul Kirchhof, Die Identität der Verfassung (’N 23), § 19 Rn. 15 ff.
41 So Steiner (N 20), S. 225 ff.; H.-P. Schneider (N 9), § 158 Rn. 1 ff., 12,17, 24, 29 ff.; Peter
Häberle, Die Verfassunggebende Gewalt des Volkes, in: ders., Rechtsvergleichung im
Kraftfeld des Verfassungsstaates, Berlin 1992, S. 164, 175. - Die Schöpfung einer drit-
ten Kategorie des „pouvoir constituant constitue“ (bzw. „institue“) neben der ori-
ginären Verfassunggebenden Gewalt und der verfaßten Gewalt {Klaus Stern, Das
 
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