Metadaten

Heckel, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1995, 3. Abhandlung): Die deutsche Einheit als Verfassungsfrage: wo war das Volk? ; vorgetragen am 11. Februar 1995 — Heidelberg: Univ.-Verl. Winter, 1995

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48183#0042
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
40

Martin Heckel

tung verloren hat, muß es nicht durch einen Verfassunggebungsakt ab-
gelöst oder neu bestätigt werden.
d) Vor allem: Solange die Verfassungslücke in Art. 146 GG n.F. nicht
durch die Regelung des Initiativrechts und Verfahrens der Verfas-
sungsablösung geschlossen ist, würde die unmittelbare Durchführung
einer Volksabstimmung eine Verfassungsverletzung darstellen, die kei-
ne Verwaltung der Länder und Gemeinden durch Auflegung der Ab-
stimmungslisten passieren lassen darf. Dies würde letztlich nach Art. 20
Abs. 4 GG das Widerstandsrecht jedes Bürgers und Amtswalters, Bür-
germeisters und Standortkommandanten auslösen!53
5. Die fünfte Ansicht - Reduzierung des Art. 146 GG n.F. auf plebis-
zitäre Zusatzelemente des Verfassungsänderungsverfahrens - wird dem
besonderen Sinn des Art. 146 GG n.F. nicht gerecht:
a) Eine plebiszitäre Ergänzung des normalen Verfassungsänderungs-
verfahrens ist zwar rechtlich durchaus möglich , da sie nicht durch Art.
79 Abs. 3 GG verboten ist. Die gesetzgebenden Körperschaften könn-
ten auch im Bund ihre einigungsbedingten Änderungen zusätzlich einem
Referendum des Volkes unterbreiten. Die rein repräsentative Regelung
des Verfassungsänderungsverfahrens in Art. 79 Abs. 2 GG gehört nicht
zum unabänderlichen Verfassungskern der Fundamentalgarantie in Art.
79 Abs. 3 GG, zumal auch in einigen Länderverfassungen eine entspre-
chende plebiszitäre Modifikation existiert und dies mit dem Demokra-
tieverständnis der Artt. 20, 28, 29 GG offensichtlich vereinbar ist.
b) Aber dies ist ein anderer Verfahrenstyp55: Seine Rechtsgrundlagen
sind nicht in Art. 146 GG, sondern in Art. 79 Abs. 1 GG zu finden. Die-
se plebiszitär ergänzte Verfassungsänderung nach Art. 79 Abs. 1 GG er-
folgt in voller Kontinuität der Grundgesetzgeltung und hat das Ziel, das
Grundgesetz zu erhalten und zu bekräftigen. Die Verfassungsablösung
nach Art. 146 GG n.F. hingegen soll das Grundgesetz in sachlicher Dis-
kontinuität ablösen. Der Wortlaut des Art. 146 GG n.F. „Das Grund-
gesetz ... verliert seine Gültigkeit ...“ schließt es aus, den Gültigkeits-
verlust in eine Geltungsbestätigung umzudeuten. Die Entstehungsge-
schichte zeigt, daß für Art. 146 GG nicht der ursprüngliche Wunsch der
CDU nach Bewahrung und Bekräftigung, sondern die Forderung der
SPD nach der Veränderungsmöglichkeit der Verfassungsverhältnisse
durch Erhaltung des Ablösungsvorbehalts Pate stand.
53 Würtenberger (N 8), S. 99.
A.A. Zippelius (N 6), S. 291.
Würtenberger (N 8), S. 97.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften