EIN SENDBRIEVE MARTINI BUCERI
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Oberkeiten aller graden70 und von den vorgesetzten der Religionsampt dem volck
gemeiner Christenheit über die sechshundert jar her71, und sehet, wievil ir deren gewal-
tigen, kirchendienern und völckeren in diser zeit finden, die sich recht beflissen hetten
oder noch beflissen, ihre ämpter, dienste und leben nach erzelten gepotten des Almech-
5 tigen und Exempeln der recht Gottsäligen Oberen, Seelsorgern und Gemeinden anzu-
stellen und zu verrichten.
Ja, wievil hatt man deren haupter und Regenten gefunden, die sich hetten schuldig
erkennet, im Gesatze Gottes alle tag ires lebens zu lesen und dem nach die Kirchen und
kirchendienst vor allem zu bestellen und ob allen kirchendienern hohes und niders
io grads, das sie iren dienst recht und getrewlich verrichten, mit ernstem verordnen, gepie-
ten und straffen zu halten?
Wie nit allein David, Hiskiah, Josia und andere Fürsten und Könige des alten Testa-
ments, sonder auch Constantinus, Theodosius, Justinianus und andere, die der gottsä-
ligkeit am höhisten berhümet sind72 im Neüwen Testament, sich haben schuldig erken-
15 net und auch mit der that bewisen. Ja, wiefil sind in der zeit gewesen, die man nit beredt
habe, inen gepüre nicht, die Sachen der Religion und kirchen zu erkennen und durch ir
ampt der Oberkeit darin etwas zu schaffen, Sonder sollen die den Papst und seine Bi-
schöffe lassen versehen und denen auch, wie sie die joch73 versehen und wie schwerlich
sie alles volck Gottes verergeren, nichts überall74 drein reden; Welches doch ist wider
zo | B 4a| das außtrucklich gebott Gottes und die Exempel, hie oben anzogen, wie auch
wider aller heiligen Bischöven und vätteren lehre und haltung.
Wiefil hat man denn auch deren gewaltigen anzüzeigen, die in irer Regierung nit eigen
ehr, pracht und wollust, sonder Gottes ehre und das heil der underthonen vor allem
gesucht, Und daher inen nichts höhers hetten lassen angelegen sein, dann das die iren
2.5 gottsäliglich lebten und von aller ungehorsame Göttlicher gepotten wurden verhietet
und abgezogen75.
Also wil man sehen in die gemeine Verwaltung der Religion und die vorgsetzten der
Kirchen, So sind auch nun über die fünff und sechshundert jar, das die Bischöve und
Vorsteher der kirchen die Göttlich bücher dem volck Christi nit mer lassen täglichen76
30 in den kirchen, einem yeden volck in seiner sprachen, vorlesen, wie es doch der Fleilig
Geyst im alten und neüwen Testament verordnet hat und bei allen alten waren Bischö-
70. Stufen.
71. B. rechnet das Bestehen der Kirche im Abendland von der Krönung Ottos I. (962) an, dem
Datum einer ersten Verbindung von Kirche und Reich, Papsttum und Kaisertum. Das ergibt dann
etwa 600 Jahre.
72. Deren Gottseligkeit (Frömmigkeit) besonders gerühmt wird. Lexer 1, Sp. 198. Auch im
Pietismus ersetzt der Begriff der Gottseligkeit oft den der Frömmigkeit oder der Erwählung und
gibt dem des Glaubens eine charakteristische Überhöhung. In gewisser Weise ist das bereits in B.s
Diktion angelegt. Die Brücke könnte jene Schrift B.s sein, die Spener 1691 in Frankfurt (»ex auto-
grapho«) drucken ließ. Vgl. W. Bellardi, Die Geschichte, S. iff. und ii9ff. (Beilage 1) — sowie
W. Bellardi-. Die Vorstufen der Collegia pietatis. Diss. (Masch.). Breslau 1931.
73. Auch immer.
74. Nichts ausgenommen, in keinem Punkt. Lexer 2, Sp. 1608.
75. Davor bewahrt und daran gehindert. Lexer 1, Sp. 15.
76. An jedem Tag, täglich (adv.).
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Oberkeiten aller graden70 und von den vorgesetzten der Religionsampt dem volck
gemeiner Christenheit über die sechshundert jar her71, und sehet, wievil ir deren gewal-
tigen, kirchendienern und völckeren in diser zeit finden, die sich recht beflissen hetten
oder noch beflissen, ihre ämpter, dienste und leben nach erzelten gepotten des Almech-
5 tigen und Exempeln der recht Gottsäligen Oberen, Seelsorgern und Gemeinden anzu-
stellen und zu verrichten.
Ja, wievil hatt man deren haupter und Regenten gefunden, die sich hetten schuldig
erkennet, im Gesatze Gottes alle tag ires lebens zu lesen und dem nach die Kirchen und
kirchendienst vor allem zu bestellen und ob allen kirchendienern hohes und niders
io grads, das sie iren dienst recht und getrewlich verrichten, mit ernstem verordnen, gepie-
ten und straffen zu halten?
Wie nit allein David, Hiskiah, Josia und andere Fürsten und Könige des alten Testa-
ments, sonder auch Constantinus, Theodosius, Justinianus und andere, die der gottsä-
ligkeit am höhisten berhümet sind72 im Neüwen Testament, sich haben schuldig erken-
15 net und auch mit der that bewisen. Ja, wiefil sind in der zeit gewesen, die man nit beredt
habe, inen gepüre nicht, die Sachen der Religion und kirchen zu erkennen und durch ir
ampt der Oberkeit darin etwas zu schaffen, Sonder sollen die den Papst und seine Bi-
schöffe lassen versehen und denen auch, wie sie die joch73 versehen und wie schwerlich
sie alles volck Gottes verergeren, nichts überall74 drein reden; Welches doch ist wider
zo | B 4a| das außtrucklich gebott Gottes und die Exempel, hie oben anzogen, wie auch
wider aller heiligen Bischöven und vätteren lehre und haltung.
Wiefil hat man denn auch deren gewaltigen anzüzeigen, die in irer Regierung nit eigen
ehr, pracht und wollust, sonder Gottes ehre und das heil der underthonen vor allem
gesucht, Und daher inen nichts höhers hetten lassen angelegen sein, dann das die iren
2.5 gottsäliglich lebten und von aller ungehorsame Göttlicher gepotten wurden verhietet
und abgezogen75.
Also wil man sehen in die gemeine Verwaltung der Religion und die vorgsetzten der
Kirchen, So sind auch nun über die fünff und sechshundert jar, das die Bischöve und
Vorsteher der kirchen die Göttlich bücher dem volck Christi nit mer lassen täglichen76
30 in den kirchen, einem yeden volck in seiner sprachen, vorlesen, wie es doch der Fleilig
Geyst im alten und neüwen Testament verordnet hat und bei allen alten waren Bischö-
70. Stufen.
71. B. rechnet das Bestehen der Kirche im Abendland von der Krönung Ottos I. (962) an, dem
Datum einer ersten Verbindung von Kirche und Reich, Papsttum und Kaisertum. Das ergibt dann
etwa 600 Jahre.
72. Deren Gottseligkeit (Frömmigkeit) besonders gerühmt wird. Lexer 1, Sp. 198. Auch im
Pietismus ersetzt der Begriff der Gottseligkeit oft den der Frömmigkeit oder der Erwählung und
gibt dem des Glaubens eine charakteristische Überhöhung. In gewisser Weise ist das bereits in B.s
Diktion angelegt. Die Brücke könnte jene Schrift B.s sein, die Spener 1691 in Frankfurt (»ex auto-
grapho«) drucken ließ. Vgl. W. Bellardi, Die Geschichte, S. iff. und ii9ff. (Beilage 1) — sowie
W. Bellardi-. Die Vorstufen der Collegia pietatis. Diss. (Masch.). Breslau 1931.
73. Auch immer.
74. Nichts ausgenommen, in keinem Punkt. Lexer 2, Sp. 1608.
75. Davor bewahrt und daran gehindert. Lexer 1, Sp. 15.
76. An jedem Tag, täglich (adv.).