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Bucer, Martin; Stupperich, Robert [Hrsg.]; Neuser, Wilhelm H. [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Strohm, Christoph [Hrsg.]
Martin Bucers Deutsche Schriften (Band 6,2): Zum Ius reformationis: Obrigkeitsschriften aus dem Jahre 1535 ... — Gütersloh, 1984

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https://doi.org/10.11588/diglit.29832#0050
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OBRIGKEITSSCHRIFTEN

Strafen von der Gottlosigkeit zur Gottseligkeit treiben. Das bedeutet nach Bucer kein
Richten über Glaube oder Unglaube. Doch soll die Obrigkeit die wahrhaft Gläubigen
bevorzugen, die Gottlosen aber als Dienerin Gottes »zur rach der Bösen«, wie es ihr
gottloses Wesen verdient, bestrafen. Gemäß göttlichem Willen und kaiserlicher
Gesetzgebung darf die christliche Obrigkeit keine heidnische Religion dulden. Viel
schärfer als gegen heidnischen Gottesdienst aber soll die Obrigkeit gegen Getaufte
vorgehen, die vom Glauben abfallen. Sie sind nach den kaiserlichen Ketzergesetzen zu
strafen.
Bucer interpretiert das »merum imperium«, das er der »potestas inferior« (also auch
der Freien Reichsstadt) zuspricht, im Lichte des Alten Testaments, nämlich anhand
von 5 Mos 13 und 17. Diese Tatsache führt ihn dazu, daß er der Obrigkeit die Voll-
macht zuspricht, eine Stadt, die falsche Lehre und falschen Gottesdienst treibt, mit
ihrer gesamten Bevölkerung zu vernichten. Bucer meint, eine solche Strafe sei »fried-
lich, recht und barmherzigkeit«31; denn so fördere die Obrigkeit als Werkzeug Gottes
sein Reich. Wo sie dagegen falschen Gottesdienst dulde, rufe sie Gottes Zorn hervor.
Danach setzt sich Bucer mit Sebastian Franck und seiner Geringschätzung kirchli-
cher Zeremonien auseinander. Bucer weist demgegenüber darauf hin, daß im Neuen
Testament die Versammlung zu Gottes Wort, zu Gebet und Sakrament geboten sei.
Vor allem aber macht er Franck zum Vorwurf, daß er der Obrigkeit nicht zugesteht,
sich um die Religionsangelegenheiten zu kümmern und gegen Ketzer mit Gewalt
vorzugehen. Er beschuldigt ihn der Unwahrheit, weil er gottesfürchtige Lehrer und
christliche Kaiser in ihrem kirchenfreundlichen Handeln beschimpfe. Wenn Franck
von der Unwahrheit lasse, wolle er ihm Milde und Freundschaft bewahren32.
Bucer muß zugeben, daß Luther mit dem Vorgehen der obrigkeitlichen Gewalt
gegen Ketzer nicht unbedingt einverstanden war33. Wohl aber habe Luther der Obrig-
keit die Vollmacht zugestanden, falsche Lehre und falschen Gottesdienst abzutun. Die
Irrenden sollen durch das Wort belehrt werden, und erst dann, wenn sie in ihrem
Irrtum verharren, soll die Strafe folgen. Vor allem habe sich Luther dagegen gewehrt,
daß Irrende ohne »Verhör und bericht« auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden
sind, »wenn sie die Pfaffen allein als Ketzer der Oberkeit überantwortet haben«34. So
hat also nach Bucer die christliche Obrigkeit nicht auf Abhilfe der Mißbräuche durch
ein Konzil zu warten, sondern unverzüglich selbst zu handeln. Damit ist das Problem
gestellt, ob die »unteren Oberen«35, d. h. der Rat von Augsburg, auch gegen den
31. Dial. 7, N ib, S. 121. Ähnlich Luther: Wider die räuberischen und mörderischen Rotten
der Bauern (1525); WA 18, S. 344—361 (besonders S. 361).
32. Dial. 7, P ib —P 3a, S. i32ff. In diesem Zusammenhang weist B. die Darstellung Francks
in dessen Chronik zurück, daß Augsburg im Jahre 1531 von Luther abgefallen sei, den lutheri-
schen Predigern Predigt und Messehalten untersagt, von Straßburg, Konstanz und Basel
Prediger habe kommen lassen und Augsburg zwinglisch reformiert habe. Immerhin muß B.
zugeben, daß in Francks Chronik viel Wahres stehe.
33. Dial. 7, Q 4b, S. 143. Vgl. auch B.s Vorrede zum Evangelienkommentar von 15 30; Lang,
S. 390—396. Für Luther vgl. Holl 1, S. 370, Anm. 1; 354 ff. Vgl. auch B.s Auseinandersetzung
mit Engelbrecht; BDS 5, S. 491, Z. 11—36.
34. Dial. 7, Q4U S. 144.
35. Dial. 9, V 4a, S. 167.
 
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