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Bucer, Martin; Stupperich, Robert [Editor]; Neuser, Wilhelm H. [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Strohm, Christoph [Editor]
Martin Bucers Deutsche Schriften (Band 7): Schriften der Jahre 1538 - 1539 — Gütersloh, 1964

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https://doi.org/10.11588/diglit.29833#0326
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322

SCHRIFTEN DER JAHRE I 5 3 8-1539

geordnet 4. Die eigentlichen Motive, die den Landgrafen zu diesem
Befehl veranlaßt haben mögen, lassen sich heute nicht mehr eindeutig
klären. Vielleicht haben religiöse vielleicht aber auch politische Erwä-
gungen bei der Anordnung, die Juden auszuweisen, eine Rolle gespielt 6.
Ganz ausgeschlossen ist allerdings nicht, daß möglicherweise rein
materielle Gesichtspunkte den Ausschlag gegeben haben, denn es war
zu erwarten, daß die Juden ihren »Schutzpfennig« um so bereitwilliger
und vor allem um so beträchtlicher entrichteten, je drohender das
Damoklesschwert einer Vertreibung über ihnen schwebte. Für dieses
Motiv spricht jedenfalls, daß die hessischen Juden dem landgräflichen
Ausweisungsbefehl nicht nachgekommen sind, und daß auch die Be-
hörden offensichtlich die Durchführung der Ausweisungsanordnung
nicht streng überwacht haben. Denn zu Beginn der 30er Jahre haben
sich noch so viele Juden in Hessen aufgehalten, daß der Landgraf am
28. Mai 1532 ihnen einen Schutzbrief ausstellte, der den Juden nun für
weitere sechs Jahre den Aufenthalt in dem landgräflichen Territorium
und zugleich den Schutz vor Übergriffen zusicherte. Allerdings sollten
sich die Juden unter Strafandrohung des »Wuchers enthalten« und die

4. Das Ausschreiben ist veröffentlicht bei C. L. Kleinschmid (Hg.): Sammlung
Fürstlich Hessischer Landesordnungen und Ausschreiben. Teil I. Kassel 1767.

S. 47—49. Es handelt sich dabei um ein sozialreformerisches Ausschreiben gegen das
»Zutrincken, die Füllerey, das Fluchen, Schwören und Gotteslästern, die fremden
Bettler und Stationieret (usw.)« mit offensichtlich religiösem Hintergrund (vgl. vor
allem a.a.O. S. 48). Zur Charakterisierung und Bedeutung dieses Ausschreibens vgl.
vor allem W. Sohm: Territorium und Reformation in der hessischen Geschichte
1526—1555. Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen und
Waldeck, XI, 1. Marburg 1915 (2. Aufl. 1957, hg. von G. Franz), S. 20ff.

5. So H. Heppe, a.a.O. S. 259. Ebenfalls das Gutachten des aufklärerischen Frei-
herrn du Thil über die Frage: »ob den Juden des Großherzogtums Hessen eine neue
Verfassung zu geben sei« vom 12. August 1810, vgl. R.Bodenheimer, a.a.O. S. 13.
Du Thils Gutachten, das im hessischen Staatsarchiv — XI, 2. Konv. 4 — aufbewahrt
wurde, ist dem letzten Kriege zusammen mit anderen Akten, die R. Bodenheimer
zum Beispiel noch benutzen konnte, zum Opfer gefallen.

Die Ansicht, religiöse Motive hätten im Jahre 1524 den Anlaß zur Vertreibung der
Juden aus Hessen gegeben, läßt sich zunächst mit dem Hinweis auf die religiöse
Färbung des Ausschreibens vom 28. Juli 1524 stützen. Außerdem damit, daß keines-
wegs nur die Ausweisung der Juden allein in dem Ausschreiben angeordnet, sondern
generell die Landesverweisung aller Heiden dem Statthalter befohlen wird: »Auch
solt du in deynem Ampt keynen Zegeuner odder Heyden zulassen, sonder sie alsbald den
nechsten auß vnserm landt weyssen, vnd, wo sie daryn seumig funden wurden, sie
darumb zymlich straffen« (Hess. Landesordnungen I, S. 49.).

6. Diese Ansicht hat vor allem R. Bodenheimer, a.a.O. S. 14, in Weiterführung der
Darlegungen S.Salfelds, a.a.O. S. 522fr., vertreten: »Es kann vielmehr keinem
Zweifel unterliegen, daß Philipp die Juden geopfert hat, weil er hoffte, die Gärung
unter der Bauernschaft, die damals auch schon seine Lande ergriffen hatte, auf diese
Weise zu beschwichtigen «.
 
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