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VOM TAG ZU HAGENAW (1540)
Cyrus und die Historia ecclesiastica tripartita, weiterhin als historische Quellen das
Dekret von Gratian und das Corpus Iuris Civile, die vor kurzem erschienene Konzi-
liensammlung von Crabbe, Alciats Kommentar zu De verborum significatione und
Platinas Geschichte der Päpste. Von den griechischen Vätern benutzt er Chrysosto-
mus und Pseudo-Dionysius Areopagita, von den lateinischen Cyprian, Augustin,
Leo. I. - mittels Crabbes Sammlung - und Gregor I. Die Mehrzahl dieser patristi-
schen Texte und einen beträchtlichen Teil des historischen Materials konnte er sei-
nem Florilegium patristicum entnehmen. Cyprians Briefe hat er ohne Zweifel
intensiv studiert und auch ausgiebig benutzt. Von den Schriften zeitgenössischer
altgläubiger Theologen benutzte er nur Ecks Enchiridion und einmal Groppers
gleichnamiges Werk, das er in Hagenau von diesem geschenkt bekommen hatte53.
An zwei Stellen ist klar, daß er von brieflichen, beziehungsweise mündlichen Mittei-
lungen Gebrauch gemacht hat54.
Zusammenfassend kann man zur Charakteristik der Schrift Bucers sagen, daß er seine
umfassenden Kenntnisse der Zeitgeschichte, besonders der Beziehungen zwischen
den Protestierenden und dem Kaiser im jüngsten Jahrzehnt, geradezu erschöpft hat,
um für die nächste Zukunft den richtigen Weg zu zeigen. Seine gründlichen Kennt-
nisse der Kirchengeschichte, der Patristik und des Kirchenrechts ermöglichten es
ihm, die von Braun entwickelten, zum Papalismus tendierenden Thesen aus guten
Gründen zurückzuweisen. Das bedeutet nicht, daß Bucers Sicht auf die Geschichte
richtig war. Die beiden Opponenten gingen auf dieselbe Art und Weise vor: Beide
hatten ein geradliniges Geschichtsbild, sie verallgemeinerten die Daten, die ihre
Thesen stützten, und übergingen einfach die zu ihrem Bild nicht passenden Gege-
benheiten. In alledem verfolgt Bucer ein klares Ziel. Er liefert eine Apologie des im
Frankfurter Anstand vorgesehenen freien Religionsgesprächs, verschweigt, daß die
protestierenden Stände die Augsburger Konfession als Gesprächsvorlage gefordert
hatten, und versucht die in Hagenau in Erscheinung getretenen Gefahren dieser
Politik - das Anknüpfen an die angeblichen Ergebnisse der Augsburger Verhandlun-
gen und die damit zusammenhängende Anerkennung der Rechte des heiligen Stuhls in
solchen Besprechungen - zu bannen. Vielmehr befürwortet er ein echtes Gespräch
ohne Vorbedingungen auf einer Nationalversammlung, beziehungsweise einem
Reichskonzil55, und zeigt in seinen Ausführungen die Bereitschaft, neben der heiligen
Schrift das Zeugnis der alten Kirche, sowie es in der Lehre der Kirchenväter und den
Bestimmungen der Konzilien zum Ausdruck kommt, als Richtlinie anzunehmen56.
53. Von den einigen rechten wegen (Bibl. Nr. 80), S. 62.
54. Er macht eine Anspielung auf die Verfolgungen in den Niederlanden, S. 295, Z. 2-3, die im
Briefverkehr im reformatorischen Lager zu dieser Zeit eine beachtliche Rolle spielten als Hinweis
darauf, daß der Kaiser in seinen Friedensplänen nicht glaubwürdig sei. Eine Mitteilung betreffs des
Verkaufs päpstlicher Ablässe in Spanien, S. 297, Z. 5-9, verdankte er Francisco de Enzinas. Ich
verzichte darauf, die in diesem Abschnitt befindlichen Daten zu belegen. Mittels der Register kann
der Interessent die Stellen finden.
55. B. unterscheidet diese nicht; s. S. 94, Anm. 7.
56. Beispiele sind S. 251, Z. 8-9; S. 261, Z. 1-2.
VOM TAG ZU HAGENAW (1540)
Cyrus und die Historia ecclesiastica tripartita, weiterhin als historische Quellen das
Dekret von Gratian und das Corpus Iuris Civile, die vor kurzem erschienene Konzi-
liensammlung von Crabbe, Alciats Kommentar zu De verborum significatione und
Platinas Geschichte der Päpste. Von den griechischen Vätern benutzt er Chrysosto-
mus und Pseudo-Dionysius Areopagita, von den lateinischen Cyprian, Augustin,
Leo. I. - mittels Crabbes Sammlung - und Gregor I. Die Mehrzahl dieser patristi-
schen Texte und einen beträchtlichen Teil des historischen Materials konnte er sei-
nem Florilegium patristicum entnehmen. Cyprians Briefe hat er ohne Zweifel
intensiv studiert und auch ausgiebig benutzt. Von den Schriften zeitgenössischer
altgläubiger Theologen benutzte er nur Ecks Enchiridion und einmal Groppers
gleichnamiges Werk, das er in Hagenau von diesem geschenkt bekommen hatte53.
An zwei Stellen ist klar, daß er von brieflichen, beziehungsweise mündlichen Mittei-
lungen Gebrauch gemacht hat54.
Zusammenfassend kann man zur Charakteristik der Schrift Bucers sagen, daß er seine
umfassenden Kenntnisse der Zeitgeschichte, besonders der Beziehungen zwischen
den Protestierenden und dem Kaiser im jüngsten Jahrzehnt, geradezu erschöpft hat,
um für die nächste Zukunft den richtigen Weg zu zeigen. Seine gründlichen Kennt-
nisse der Kirchengeschichte, der Patristik und des Kirchenrechts ermöglichten es
ihm, die von Braun entwickelten, zum Papalismus tendierenden Thesen aus guten
Gründen zurückzuweisen. Das bedeutet nicht, daß Bucers Sicht auf die Geschichte
richtig war. Die beiden Opponenten gingen auf dieselbe Art und Weise vor: Beide
hatten ein geradliniges Geschichtsbild, sie verallgemeinerten die Daten, die ihre
Thesen stützten, und übergingen einfach die zu ihrem Bild nicht passenden Gege-
benheiten. In alledem verfolgt Bucer ein klares Ziel. Er liefert eine Apologie des im
Frankfurter Anstand vorgesehenen freien Religionsgesprächs, verschweigt, daß die
protestierenden Stände die Augsburger Konfession als Gesprächsvorlage gefordert
hatten, und versucht die in Hagenau in Erscheinung getretenen Gefahren dieser
Politik - das Anknüpfen an die angeblichen Ergebnisse der Augsburger Verhandlun-
gen und die damit zusammenhängende Anerkennung der Rechte des heiligen Stuhls in
solchen Besprechungen - zu bannen. Vielmehr befürwortet er ein echtes Gespräch
ohne Vorbedingungen auf einer Nationalversammlung, beziehungsweise einem
Reichskonzil55, und zeigt in seinen Ausführungen die Bereitschaft, neben der heiligen
Schrift das Zeugnis der alten Kirche, sowie es in der Lehre der Kirchenväter und den
Bestimmungen der Konzilien zum Ausdruck kommt, als Richtlinie anzunehmen56.
53. Von den einigen rechten wegen (Bibl. Nr. 80), S. 62.
54. Er macht eine Anspielung auf die Verfolgungen in den Niederlanden, S. 295, Z. 2-3, die im
Briefverkehr im reformatorischen Lager zu dieser Zeit eine beachtliche Rolle spielten als Hinweis
darauf, daß der Kaiser in seinen Friedensplänen nicht glaubwürdig sei. Eine Mitteilung betreffs des
Verkaufs päpstlicher Ablässe in Spanien, S. 297, Z. 5-9, verdankte er Francisco de Enzinas. Ich
verzichte darauf, die in diesem Abschnitt befindlichen Daten zu belegen. Mittels der Register kann
der Interessent die Stellen finden.
55. B. unterscheidet diese nicht; s. S. 94, Anm. 7.
56. Beispiele sind S. 251, Z. 8-9; S. 261, Z. 1-2.