fragmentarisch erhaltene Grabinschrift der Anna von Neipperg aus Neckarbischofsheim aus dem Jahre
1415 (nr. 219), deren Schrift in ihrer Regelmäßigkeit und kalligraphischen Ausformung fast vergessen
macht, daß es sich um eine Monumentalschrift in sprödem Material handelt.
Die Datierung bereitet bei den Schriften der gotischen Majuskel keine Schwierigkeiten, da die erhaltenen
Steininschriften fast alle zeitlich festzulegen sind. Anders steht es um die Ladenburger Glockeninschrift,
die bereits erwähnt wurde; die Parallelität von geschlossenem (unzialen) E und M darf nicht als Anhalts-
punkt zur Datierung dienen, weil die Glockeninschriften der Gesamtentwicklung nur retardierend folgen.
Die Technik der Inschriftenanbringung beim Guß mit Hilfe von Modeln bedingte ein längeres Festhalten
an einmal akzeptierten Formen. Eine Entstehungszeit der Glocke nach der Mitte des 14. Jahrhunderts
(zwischen 1350/1380) dürfte nach vergleichbaren Schriften auf Glocken in benachbarten Räumen in Frage
kommen* 46). Ebenfalls undatiert sind die Fresken aus der Weinheimer Peterskirche, die ins Heimatmuseum
übertragen wurden (nr. 29). Der Erhaltungszustand ist schlecht, Überarbeitungen sind nicht auszuschließen,
doch dürfte sich nach dem heutigen Befund ein Zeitansatz auf die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts ver-
tretenlassen. Was oben für die Charakteristik der gotischen Majuskel in der Zeit ihrer „absoluten Herrschaft“
gesagt wurde, gilt auch für die beiden Steininschriften, die zeitlich Nachzügler sind (nr. 51 von 1459 und
nr. 91 von 1502): sie zeigen keinen Entwicklungsfortschritt, keine „Spätform“, lediglich eine artifizielle,
vielleicht sogar manirierte Ausführung von Einzelbuchstaben. Kennzeichnend dafür ist in der Weinheimer
Inschrift das P, dessen weit links ansetzender Bogen den ganzen Schaft erfaßt, der wiederum unten in zwei
weit nach außen schwingende und eingerollte „Füße“ ausläuft. Die Ladenburger Majuskelinschrift zeigt
dagegen bereits Vcrfremdungsclemente, offensichtlich durch den Einfluß einer Renaissance-Kapitalis be-
dingt, die einzelne Buchstaben sehr deutlich beeinflußt hat, sich aber auch auf die Gestaltung der Schrift
im Ganzen auswirkt. Es wäre irrig, wollte man in dieser Schrift eine frühhumanistische Kapitalis sehen.
Es fehlen ihr deren charakteristische Merkmale; der Steinmetz wollte eine gotische Majuskel gestalten,
an deren Buchstabenkanon er sich auch weitgehend gehalten hat (unziales M, N, A). Die Kapitalformen
für A und E entstammen wohl eher einem zeitgenössischen Druckalphabet, als daß sie durch Vermitt-
lung frühhumanistischer Kapitalis oder einer Kapitalis in der Monumentalschrift eingedrungen sind. Das
runde E (zum Unterschied vom zweibauchigen E der frühhumanistischen Kapitalis) könnte ebenfalls aus
gedruckter Vorlage zu erklären sein. Es ist in der Monumentalschrift bisher nur sehr selten nachzuweisen47).
Der Grabstein ist 1502 zu datieren und stammt - auch das Formular macht das deutlich - aus dem Umkreis
des Bischofs Johann von Dalberg. Seine humanistischen Interessen mögen zumindestens die Kenntnis der
andersartigen Schriften vor deren allgemeiner Rezeption ermöglicht haben. Die nur ein Jahr später anzu-
setzende Bau-Inschrift des Ziehbrunnens in Ladenburg gibt ähnliche Probleme auf: die Formen der goti-
schen Maj uskcl sind an einem Mund an einem Nnoch erkennbar, E wird einmal in kapitaler Form gebraucht,
einmal in der doppeltgebauchten Form der frühhumanistischen Kapitalis. Trotzdem ist auch hier eine
eindeutige Klassifikation nicht möglich: es fehlen kennzeichnende Eigentümlichkeiten der Schriftgattung;
wo sie auftreten (Ausbauchung der schrägen Haste bei N, des Querstrichs bei H) wirken sie wie zufällig
übernommene Zutaten, nicht wie eine bewußte Akzeptierung neuer Stilformen48).
Kapitalis
Es stimmt zu diesen Beobachtungen an den Ladenburger Schriften, daß die Majuskelschrift der Renais-
sancezeit im Bearbeitungsgebiet relativ zögernd rezipiert wird. Die bewußte Wiederanknüpfung an an-
tike Vorbilder in der Schriftgestaltung setzt in Italien in der Mitte des 15. Jahrhunderts ein, in Deutschland
um die Wende des 15. zum 16. Jahrhundert. Sie verzögert sich - soweit das bisher veröffentlichte Material
solche Aussagen zuläßt in Räumen, die den kulturellen Zentren ferner liegen. In Heidelberg ist die
erste Inschrift in Renaissance-Kapitalis bereits aus dem Jahre 1508 datiert, eine Bauinschrift an der Heilig-
geistkirche, im ländlichen Bereich des Untersuchungsgebietes Wertheim-Tauberbischofsheim tritt diese
Schrift erst kurz vor der Jahrhundertmitte zum ersten Mal auf49). In unserem Raum zeigt 1518 ein Laden-
40) Vgl. DI. I (Main-und Taubergrund) nr. 433 (1367). -Weitere Beispiele in den Bänden des Deutschen Glocken-
atlas unter „Majuskelglocken“ mit Abbildungen der Schriften.
47) BemerkenswerterWeise erscheint es im Jahre 1503 einmal auf der Epitaph-Inschrift desWipert von Finter-
lohe im Dom zu Speyer, vgl. Seeliger-Zeiss, Lorenz Lechler, Abb. 72. - Aus zeitgenössischen Druckschriften sind
(ohne systematische Suche) zu nennen: Die Gotico-Antiqua von Fust-Schöffer aus dem Jahre 1462 (Abb. bei
C.Wehmer, Deutsche Buchdrucker des 15. Jahrhunderts, Wiesbaden 1971, Taf. 13), dieser folgend Berthold Ruppel
1471 (Abb. ebd. Taf. 18), ferner die in Speyer (!) in der Offizin von Peter Drach verwendeten Schriften um 1480
(Abb. bei Wehmer Taf. 49).
4S) Zum Unterschied davon vgl. die sehr typische Inschrift eines Beichtstuhls aus dem Jahre 1513: DI. VI
(Naumburg I) nr. 6.
4#) Vgl. DI. XII (Heidelberg) nr. 194 und DI. I (Main-Taubergrund) nr. 214.
XIX
1415 (nr. 219), deren Schrift in ihrer Regelmäßigkeit und kalligraphischen Ausformung fast vergessen
macht, daß es sich um eine Monumentalschrift in sprödem Material handelt.
Die Datierung bereitet bei den Schriften der gotischen Majuskel keine Schwierigkeiten, da die erhaltenen
Steininschriften fast alle zeitlich festzulegen sind. Anders steht es um die Ladenburger Glockeninschrift,
die bereits erwähnt wurde; die Parallelität von geschlossenem (unzialen) E und M darf nicht als Anhalts-
punkt zur Datierung dienen, weil die Glockeninschriften der Gesamtentwicklung nur retardierend folgen.
Die Technik der Inschriftenanbringung beim Guß mit Hilfe von Modeln bedingte ein längeres Festhalten
an einmal akzeptierten Formen. Eine Entstehungszeit der Glocke nach der Mitte des 14. Jahrhunderts
(zwischen 1350/1380) dürfte nach vergleichbaren Schriften auf Glocken in benachbarten Räumen in Frage
kommen* 46). Ebenfalls undatiert sind die Fresken aus der Weinheimer Peterskirche, die ins Heimatmuseum
übertragen wurden (nr. 29). Der Erhaltungszustand ist schlecht, Überarbeitungen sind nicht auszuschließen,
doch dürfte sich nach dem heutigen Befund ein Zeitansatz auf die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts ver-
tretenlassen. Was oben für die Charakteristik der gotischen Majuskel in der Zeit ihrer „absoluten Herrschaft“
gesagt wurde, gilt auch für die beiden Steininschriften, die zeitlich Nachzügler sind (nr. 51 von 1459 und
nr. 91 von 1502): sie zeigen keinen Entwicklungsfortschritt, keine „Spätform“, lediglich eine artifizielle,
vielleicht sogar manirierte Ausführung von Einzelbuchstaben. Kennzeichnend dafür ist in der Weinheimer
Inschrift das P, dessen weit links ansetzender Bogen den ganzen Schaft erfaßt, der wiederum unten in zwei
weit nach außen schwingende und eingerollte „Füße“ ausläuft. Die Ladenburger Majuskelinschrift zeigt
dagegen bereits Vcrfremdungsclemente, offensichtlich durch den Einfluß einer Renaissance-Kapitalis be-
dingt, die einzelne Buchstaben sehr deutlich beeinflußt hat, sich aber auch auf die Gestaltung der Schrift
im Ganzen auswirkt. Es wäre irrig, wollte man in dieser Schrift eine frühhumanistische Kapitalis sehen.
Es fehlen ihr deren charakteristische Merkmale; der Steinmetz wollte eine gotische Majuskel gestalten,
an deren Buchstabenkanon er sich auch weitgehend gehalten hat (unziales M, N, A). Die Kapitalformen
für A und E entstammen wohl eher einem zeitgenössischen Druckalphabet, als daß sie durch Vermitt-
lung frühhumanistischer Kapitalis oder einer Kapitalis in der Monumentalschrift eingedrungen sind. Das
runde E (zum Unterschied vom zweibauchigen E der frühhumanistischen Kapitalis) könnte ebenfalls aus
gedruckter Vorlage zu erklären sein. Es ist in der Monumentalschrift bisher nur sehr selten nachzuweisen47).
Der Grabstein ist 1502 zu datieren und stammt - auch das Formular macht das deutlich - aus dem Umkreis
des Bischofs Johann von Dalberg. Seine humanistischen Interessen mögen zumindestens die Kenntnis der
andersartigen Schriften vor deren allgemeiner Rezeption ermöglicht haben. Die nur ein Jahr später anzu-
setzende Bau-Inschrift des Ziehbrunnens in Ladenburg gibt ähnliche Probleme auf: die Formen der goti-
schen Maj uskcl sind an einem Mund an einem Nnoch erkennbar, E wird einmal in kapitaler Form gebraucht,
einmal in der doppeltgebauchten Form der frühhumanistischen Kapitalis. Trotzdem ist auch hier eine
eindeutige Klassifikation nicht möglich: es fehlen kennzeichnende Eigentümlichkeiten der Schriftgattung;
wo sie auftreten (Ausbauchung der schrägen Haste bei N, des Querstrichs bei H) wirken sie wie zufällig
übernommene Zutaten, nicht wie eine bewußte Akzeptierung neuer Stilformen48).
Kapitalis
Es stimmt zu diesen Beobachtungen an den Ladenburger Schriften, daß die Majuskelschrift der Renais-
sancezeit im Bearbeitungsgebiet relativ zögernd rezipiert wird. Die bewußte Wiederanknüpfung an an-
tike Vorbilder in der Schriftgestaltung setzt in Italien in der Mitte des 15. Jahrhunderts ein, in Deutschland
um die Wende des 15. zum 16. Jahrhundert. Sie verzögert sich - soweit das bisher veröffentlichte Material
solche Aussagen zuläßt in Räumen, die den kulturellen Zentren ferner liegen. In Heidelberg ist die
erste Inschrift in Renaissance-Kapitalis bereits aus dem Jahre 1508 datiert, eine Bauinschrift an der Heilig-
geistkirche, im ländlichen Bereich des Untersuchungsgebietes Wertheim-Tauberbischofsheim tritt diese
Schrift erst kurz vor der Jahrhundertmitte zum ersten Mal auf49). In unserem Raum zeigt 1518 ein Laden-
40) Vgl. DI. I (Main-und Taubergrund) nr. 433 (1367). -Weitere Beispiele in den Bänden des Deutschen Glocken-
atlas unter „Majuskelglocken“ mit Abbildungen der Schriften.
47) BemerkenswerterWeise erscheint es im Jahre 1503 einmal auf der Epitaph-Inschrift desWipert von Finter-
lohe im Dom zu Speyer, vgl. Seeliger-Zeiss, Lorenz Lechler, Abb. 72. - Aus zeitgenössischen Druckschriften sind
(ohne systematische Suche) zu nennen: Die Gotico-Antiqua von Fust-Schöffer aus dem Jahre 1462 (Abb. bei
C.Wehmer, Deutsche Buchdrucker des 15. Jahrhunderts, Wiesbaden 1971, Taf. 13), dieser folgend Berthold Ruppel
1471 (Abb. ebd. Taf. 18), ferner die in Speyer (!) in der Offizin von Peter Drach verwendeten Schriften um 1480
(Abb. bei Wehmer Taf. 49).
4S) Zum Unterschied davon vgl. die sehr typische Inschrift eines Beichtstuhls aus dem Jahre 1513: DI. VI
(Naumburg I) nr. 6.
4#) Vgl. DI. XII (Heidelberg) nr. 194 und DI. I (Main-Taubergrund) nr. 214.
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