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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (12. Band = Bayern, 2. Teil): Schwaben: Reichsstädte Augsburg, Dinkelsbühl, Donauwörth, Kaufbeuren, Kempten, Lindau, Memmingen, Nördlingen, Grafschaft Oettingen-Oettingen — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1963

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https://doi.org/10.11588/diglit.30628#0180
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Für die Neugestaltung des Kirchenwesens wandte sich die Stadt an Wanner und seinen bedeutende-
ren Amtsbruder Ambrosius Blarer3. Einen rechten Rat wagten diese aber wegen der soeben ausgebroche-
nen Unklarheiten über das Wesen des Heiligen Abendmahles nicht zu geben. So rieten sie, die Messe
einstweilen beizubehalten, aber doch die Stillmesse (= den Kanon) auszulassen.
Es kam aber doch zu weitgehenden Änderungen, vor allem auf Betreiben des Dr. Fuchssteiner, der
sogar in der Martinskirche ein Lesepult aufstellte und an diesem Schriften Luthers vorlas. So wurden
deutsche Taufen sowie Abendmahlsfeiern unter beiderlei Gestalt und in deutscher Sprache gehalten.
Priester traten in die Ehe. Die Stadt war evangelisch4.
Der Bauernkrieg, in dem die Stadt eine klar neutrale Haltung eingenommen hatte, brachte einen
Rückschlag. Um sich da beim Schwäbischen Bund in ein günstigeres Licht zu setzen, wählte die Bürger-
schaft einen altgläubigen Mann zum Bürgermeister. Dieser benützte die Anwesenheit eines Fähnleins
des Schwäbischen Bundes dazu, am Fronleichnamstag die Führer der Evangelischen, besonders Fuchs-
steiner, und die evangelischen Prediger auszuweisen. Sein Nachfolger ging in den nächsten Jahren
noch schärfer gegen die Evangelischen vor5. Offiziell war Kaufbeuren wieder ganz katholisch.
Ein katholischer Chronist berichtet, daß Bürgermeister Rößler ausdrücklich gegen die „Lutheraner“
sehr scharf vorgegangen sei - eos videlicet proiciendo in carcerem atque variis puniendo tormentorum
generibus6. Es muß aber doch fraglich bleiben, ob damit wirklich Maßnahmen gegen Lutheraner und
nicht etwa gegen Wiedertäufer gemeint sind. Diese hatten seit 1528 in Kaufbeuren Anhänger, von denen
1528 fünf Männer enthauptet und zwischen 30 und 40 Männer und Frauen teils gebrandmarkt, teils mit
den Ruten aus der Stadt getrieben wurden7. Daneben wuchs aber auch die lutherische Richtung, und zwar
so stark, daß sich an Ostern 1539 der Spitalpfarrer durch den Ammann der Stadt sogar dazu bewegen
ließ, eine evangelische Abendmahlsfeier in der Spitalkirche halten zu lassen8.
Der Neubau der evangelischen Gemeinde 1545 und 1557.
Eigentlich aber erstand die evangelische Gemeinde in Kaufbeuren auf dem Umweg über die
schwenckfeldische 1 Bewegung wieder. Diese hatte seit 1533 das Erbe der Wiedertäufer angetreten, zumal
die katholischen Geistlichen immer wieder Anlctß zu Beschwerden boten. Ihrem religiösen Gedankengut
stand sie ziemlich nahe; doch fehlten die endzeitlichen Erwartungen, die einen politischen Einschlag
bringen konnten. Schwenckfeld hatte nun auch in Kaufbeuren Anhänger gefunden, darunter den Bürger-
meister Lauber und den Prediger Mattheis Espenmüller. Unter ihrem Einfluß wurde am 1. Mai 1543
allen, die es wünschten, Abendmahlsfeiern unter beiderlei Gestalt gestattet. Wegen der unkatholischen
Gesinnung des Rates ging der Pfarrer Ende 1544. Die Stadt gab ihm einen Schwenckfelder, der aber
schon im nächsten Jahr starb, als Nachfolger. Im April 1545 hielt sich Schwenckfeld in Kaufbeuren auf.
Damals aber hatte der Umschwung schon eingesetzt. Unter dem ständigen Zureden der Reichsstädte
Augsburg, Ulm, Kempten und Memmingen nahm Kaufbeuren am 5. August 1545 das Augsburger
Bekenntnis an. Augsburg lieh seinen Prediger Mich. Keller; Memmingen stellte auch zwei Geistliche
zur Verfügung. So wurde das Kirchenwesen unter Verwendung der Augsburger Kirchenordnung evan-
gelisch gestaltet. Daß das Augsburger Domkapitel am 31. August 1545 das Patronatsrecht auf die Pfarr-
stelle an den Rat verkaufte, beschleunigte die Entwicklung. Die katholischen Geistlichen und der schwenck-
feldische Prediger wurden entlassen. Pfarrer wurde Thomas Kirchmaier (Naogeorgus)2.
3 Vgl. Einführung 6. 4 Stieve. - Steichele 6, 366-370. - Alt 15-31. - Weigel.
5 Steichele 6, 37Off. — Alt 39—42. 6 Steichele 6, 373. 7 Alt 52. 8 Steichele 6, 373f. — Alt 44.
1 Der schlesische Individualist Kaspar Schwenckfeld († 1561 in Ulm. — RE 18, 72—81. — Schottenloher 19575
bis 19720) hielt sich seit 1529 in Süddeutschland auf und fand hier zahlreiche Anhänger.
2 Steichele 6, 374-379. - Alt 60-74. - Roth 3, 253-256. - Simon, EKGB 238.

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