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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (12. Band = Bayern, 2. Teil): Schwaben: Reichsstädte Augsburg, Dinkelsbühl, Donauwörth, Kaufbeuren, Kempten, Lindau, Memmingen, Nördlingen, Grafschaft Oettingen-Oettingen — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1963

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https://doi.org/10.11588/diglit.30628#0199
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fremd war - die Selbstbetätigung der christlichen Gemeinde auch ohne die Beteiligung des geistlichen
Amtes. Um so beachtlicher aber ist darum der warme seelsorgerliche Ton, der überall zu spüren ist. Auf
ihn sollte man stärker achten als auf die manchmal lächerliche Kasuistik in der Abstufung der Flüche
oder auf die harte Strenge gegenüber kindlichen Spielen; denn hier spricht sich der neue Geist aus.
Die von Konstanz und Memmingen aus den Memminger Vorschlägen übernommene Bestimmung
über die Eheschließung und die dabei gebrachte Vorschrift zur Führung kirchlicher Traubücher fehlt in
der Lindauer Ordnung. Trotzdem aber wurden auch hier seit Mai 1534 auf Anordnung des Rates, wie es
im (erhaltenen) ältesten Buch heißt, Traubücher geführt, ebenso gleichzeitig auch Taufbücher, wie es
auch auf dem Memminger Tag empfohlen worden war.
Den gleichen Geist atmet eine am 7. Sept. 1533 in der Kirche verlesene, sehr beachtliche Armen-
ordnung. Sie zeigt eine besonders enge Verflechtung mit der Kirche und dadurch wieder, daß es bei diesem
Verständnis von Gemeinde schwer ist, scharf zwischen weltlicher und kirchlicher Seite zu scheiden. Im
Unterschied zu anderen Almosenordnungen dieser Zeit wurde hier der Bettel nicht auf konzessionierte
Bettler eingeschränkt, sondern überhaupt aufgehoben23.
Die Zuchtordnung (auch Lasterstraf genannt) wurde im Jahr 1539 erneut eingeschärft24. Dabei
wurde noch eine besondere Bekanntmachung in den Zünften und in der Kirche verlesen25 und gleichzei-
tig ein Auszug aus der Verordnung in den Wirtshäusern angeschlagen26. Dabei schlägt die kirchliche
Bekanntmachung einen warmen, seelsorgerlichen Ton an, ohne daß er aber im Wirtshausanschlag ganz
fehlt.
Wortführer und Bannerträger dieses Geistes, der sich in all diesen Verordnungen ausspricht, ist
offenkundig der Prediger Thomas Gaßner.
Als 1551 die kaiserliche Verfassungsreform auch in Lindau die Zünfte als Verfassungsbestandteil
beseitigte, waren die Zunftmeister weggefallen. Demgemäß mußte nun die Zuchtordnung überarbeitet
werden. Statt der Zunftmeister wurde nun jedes einzelne Gemeindeglied für die Aufrechterhaltung und
Dürchführung der Zuchtordnung verantwortlich gemacht. Diese neue Fassung wurde am 4. Februar
1554 verkündet27. Sie fand 1566, 1589 und 1604 eine Erneuerung, erhielt dabei auch gelegentliche -hier
im allgemeinen entbehrliche - Ergänzungen, wie sie überhaupt stets auf dem Laufenden gehalten wurde28.
Daß sie nie bloß auf dem Papier stand, beweisen die Ratsprotokolle der Stadt29.
Schon auf dem Reichstag von Speyer hatte Lindau zu den ,,Protestanten“ gehört. 1530 unterzeich-
nete die Stadt die Confessio Tetrapolitana. Dem Reichstagsabschied dieses Jahres versagte sie den Ge-
horsam. Sie gehörte dann auch zu denen, die den Schmalkaldischen Bund 1531 begründen halfen, wobei
sie 1532 auch das Augsburger Bekenntnis annahm. Damit entwickelte sich ein engerer Bekenntnisan-
schluß an Wittenberg, der 1536 durch die freilich nur schweren Herzens geleistete Unterschrift unter die
Wittenberger Konkordie seinen Abschluß fand30.
Als Mitglied des Schmalkaldischen Bundes mußte Lindau schwer unter dem Sieg des Kaisers lei-
23 Unsere Nr. VI 3. - Wolfart 1 I 309ff.
24 Lindau Stadtarchiv 51. 13 (nicht abgedruckt).
25 Unsere Nr. VI 2 a.
26 Unsere Nr. VI 2b.
27 Unsere Nr. IV 1 im Anmerkungsteil. — So wenig wie Köhler 2, 193 vermag ich mit dem Entwurf einer Eingabe
vom 8. Mai 1542 an die Stadt auf die Erlassung einer neuen Zuchtordnung (Lindau Stadtarchiv 51. 13. - Wolfart
I I 308) etwas anzufangen.Das von Köhler genannte Stück, das Korrekturen am Datum zeigt, ist. zur Zeit mindestens
nicht auffindbar. Das mir vorliegende Stück zeigt in der Jahreszahl keinerlei Veränderung. Am Jahr ist aber in
keiner Weise zu rütteln, da der Entwurf das bei den Reichstagen von 1541 und Februar 1542 angeordnete mittägliche
Türkengebetsleuten enthält. Die Frage kann hier weiter nicht untersucht werden, da es sich ausschließlich um den
bürgerlichen Teil der Ordnung handelt, wenngleich deren Erlaß in der Eingabe biblisch und religiös begründet wird.
28 Lindau Stadtarchiv 51. 13.
29 Lindau Stadtarchiv. - Wolfart 1 I 304-309.
30 Wolfart 1 I 286-296. - Marte 94f. 98-105. - Bizer.

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