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Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (12. Band = Bayern, 2. Teil): Schwaben: Reichsstädte Augsburg, Dinkelsbühl, Donauwörth, Kaufbeuren, Kempten, Lindau, Memmingen, Nördlingen, Grafschaft Oettingen-Oettingen — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1963

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https://doi.org/10.11588/diglit.30628#0216
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VI 3. Almusenordnung in der statt Lindaw. 1533.

Dieweil im hailigen und guten werk des almusens
zugleich wie in allen andern guten sachen laider
allerla mißbreuch und unordnungen eingerissen,
auch ganz gemain worden ist, das solich hailig al-
musen durch vil leut unnotdurftig eingenommen
und durch dieselben leichtfertiglich widerumb ver-
schwendt, darzu die jugend allein darauf und sonst
auf kain redliches arbaiten und suechen der narung
gewisen noch erzogen wirt, daraus under anderm
drei groß nambhaft nachtailig schäden erwachsen
und entstanden, nemblich
der erst an der lieben jugend, die pettlens, mueßig-
gans und faulens gewonen, darnach, so sie darin er-
wachsen, ihr leben lang zu redlichen, arbeitsamen
leuten gar selten und mererntails nimmermer wer-
den,
zum andern, das die, so das hailig almusen dar-
raichen und geben sollen, ob solcher junger und
alter leichtfertiger betler unverschambten faulkeit
und unarbaitsamen, ubeln leben und wesen verur-
sacht und bewegt werden, die hend an sich zu zie-
chen und zu solichem hailigen und guten werk des
almusens verdrueßig und unwillig ze werden, be-
sonder, so das flaisch in solchen fällen guter dingen
allweg gern ain ausred und abkern sucht,
zum dritten so werden dann die armen, elenden,
notdurftigen, die uns Gottes schrift hailigen sein1
berännt und furtregt, versaumpt, verlassen und dar-
durch das gericht und zorn Gottes uber die obern
und untertanen gefüert.
Darumb zu disen zeiten, da aus den genaden
Gottes sein hailigs wort widerumb der welt eröffnet,

Druckvorlage: Original (Reinschrift auf Papier,
folio, 8 Blätter [1v. 7. 7V. 8V leer; auf 8r ein kurzer
gleichzeitiger Auszug]. - Lindau Stadtarchiv 52.
11). - Vgl. oben S. 183!
1 z.B. 1. Kor. 16, 1; 2. Kor. 8, 4; 9, 1.
2 z.B. die Wittenberger Ordnung des Gemeinen Beu-
tels vom Januar 1522 und die Nürnberger Armen-
ordnung vom 23. Juli 1522 (Sehling 11, 17). Die
Nördlinger Armenordnung vom 24. Januar 1522 und
die Augsburger vom 27. März 1522 zeigen keine
Merkmale von Einflüssen der reformatorischen Be-
wegung (M. Bisle, Die öffentliche Armenpflege der
Reichsstadt Augsburg mit Berücksichtigung der ein-

vil cristenlicher oberkaiten2 bewegt worden sind,
wie dem ampt der oberkait zusteet, dises hailigen
werk des almusens halb ordnung ze machen und
einsehens zu tun, damit die fraveln, leichtfertigen
bettler und der groß hauf derselben abgetriben, die
jugend vom petteln zu redlichem arbaiten und su-
chung irer narung gezogen und die elenden, notturf-
tigen armen dest statlicher underhalten mugen wer-
den.
Ain soliches ze tund ainer erbern oberkait diser
statt, dieweil das hailig wort Gottes alhie lang her
gepredigt ist, auch nunmehr pillich zusteen und
geburn wollen.
Darumb und sodann der spend3, kirchen und
caploneien järlich einkommen, als das so grundlich
ainmal zu und an Gottes eer und dienst ergeben,
eben zu demselbigen, nemblich underhalt der pre-
dicanten und diener des worts und der gemaind
Gottes, auch zu underhalt der schulen, auch von
Gottes eer und gemains nutz wegen, desgleichs zu
allerlei täglich zufallender kranken und armen haus-
leut hilf und sonst zu bewendung mererlai einfallen-
der notsachen, also ganz cristenlich und wol ange-
legt und gebraucht wird4, so sol dasselbig alles eben
in selbigem geprauch furohin wie bisher beleiben,
doch ainen rat sein oberkait und enderung allweg
nach gestalt der leuf und sachen darin vorbehalten.
Nachdem aber in dem gesatz des Allmechtigen
geoffnet, daß nit aufhören werden, arm ze sein5, des-
halb Gottes volk das herz gegen den armen nicht
verhaerten noch sein hand gegen den armen bruder
zuhalten, sondern die gegen im trostlich auftun soll,
schlägigen Verhältnisse in anderen Reichsstädten
Süddeutschlands. Paderborn 1904. 6f. 168-173).
3 Die „Spende“ war eine schon 1471 genannte städ-
tische Kasse, aus der Unterstützungen gezahlt wur-
den (Wolfart 1 I 230).
4 Diese ganze Vermögensmasse führte seit der Re-
formationszeit den Namen Groß-Almosen oder
Kaplaneiengut (Wolfart 1 I 299). - Wenn die
„Spende“ später mit dem durch diese Almosenord-
nung begründeten Klein-Almosen vereinigt war
(Wolfart 1 I 230), so scheint das erst später erfolgt
zu sein.
5 Matth. 26, 11; Mark. 14, 7; Joh. 12, 8.

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