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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (12. Band = Bayern, 2. Teil): Schwaben: Reichsstädte Augsburg, Dinkelsbühl, Donauwörth, Kaufbeuren, Kempten, Lindau, Memmingen, Nördlingen, Grafschaft Oettingen-Oettingen — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1963

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https://doi.org/10.11588/diglit.30628#0240
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Die erste evangelische Entwicklung bis zu ihrer Unterdrückung im Bauernkrieg.
Die Stadt Memmingen kam aus der Erbschaft der Hohenstaufer in die Hand des Reiches. Die
volle Reichsfreiheit erhielt sie 1350, als ihr der Kaiser das Recht verlieh, den Amman selbst aus ihren
Reihen zu wählen. Sie zählte in der Reformationszeit etwa 4000-5000 Einwohner. Dabei waren unter
ihren 817 Bürgern 256 Weber, deren Gewerbe somit die eigentliche wirtschaftliche Grundlage der Stadt
bildete1. Die Stadt hatte seit 1347 eine reine Zunftverfassung. Die Geschäfte führte ein 24 Mann starker
„täglicher Rat“ aus je 12 Ratgebern und Zunftmeistern, die jährlich neu gewählt wurden. Die unbe-
schränkt wieder wählbaren Ratgeber wurden von den 132 Elfern -je 11 vom Täglichen Rat bestimmten
Vertretern der 12 Zünfte -, die nach ihrer Amtszeit zwei Jahre lang nicht wieder wählbaren Zunftmeister
von ihren Zünften gewählt. Zum 48köpfigen Großen Rat wurde der Tägliche Rat durch die ,,Zweier“ -
je zwei Vertreter der 12 Zünfte - ergänzt. Neben diesen Körperschaften stand der Kreis der Elfer als
eine weitere Vertretung der Gesamtgemeinde. Der jährlich durch die Elfer aus zwei von den Zunftmeistern
vorgeschlagenen Männern gewählte Bürgermeister führte im Rat ohne Stimmrecht den Vorsitz2 . Er
durfte sein Amt immer nur jeweils ein Jahr lang führen.
Die Stadt hatte seit alters ein reiches kirchliches Leben. Sie war in zwei Pfarreien geteilt - St.Mar-
tin und Unser Frauen. Beide waren aber geistlichen Körperschaften inkorporiert - St. Martin dem An-
tonierhaus zu Vienne in der Dauphine, das in Memmingen ein Zweighospital unterhielt, dessen Prä-
zeptor Pfarrer war, und Unser Frauen dem Hospital zum Heiligen Geist (den Kreuzherren) in Memmin-
gen. Die Stadt als solche hatte also keinen Einfluß auf ihre Besetzung. Um so größer war dieser dannbei
den zahlreichen, von Bürgern gestifteten Benefizien - 27 bei St.Martin und 10 bei Unser Frauen. Am
bedeutsamsten war dabei die Vöhlinmesse, die 1479 gestiftet worden war und ihren Inhaber zu sehr
reicher Predigttätigkeit verpflichtete3,. Neben zwei Spitälern hatte Memmingen noch ein Augustiner-
eremitenkloster sowie ein Augustinerinnenkloster (die Schwarzen Schwestern zu St.Elisabeth) und die
Franziskanerinnen (die Grauen Schwestern). Eindrucksvolle Denkmäler kirchlicher Gesinnung sind
die beiden in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts neu erbauten oder wesentlich vergrößerten Pfarrkirchen.
Doch war das Verhältnis zwischen kirchlichen Größen und Bürgerschaft zumeist durch kirchliche
Schuld nicht immer gut. So hatte schon 1365 das Spital in zwei Körperschaften geteilt werden müssen -
das Unterspital, das Wohltätigkeitsanstalt blieb und in die Verwaltung der Stadt kam, und das Ober-
spital, das zu einem Kloster wurde (und dem die Pfarrei verblieb). Grund war die völlige Vernachlässi-
gung ihrer sozialen Aufgabe durch die Spitalbrüder. Gerade unmittelbar vor der Reformation gab es wie-
der verschiedene ernste Auseinandersetzungen in den Klöstern und zwischen Bürgerschaft und Klöstern.
Der erste Mann in Bayern, der von Luthers wiedergewonnenem alten, rechten Verständnis des
Evangeliums erfuhr, war der Augustiner Georg Spenlein, der aus dem Wittenberger Kloster in das Au-
gustinerkloster in Memmingen übergesiedelt war. Dorthin schrieb ihm Luther am 8. April 1516 einen
schlichten, seelsorgerlichen Brief. In ihm offenbart sich die ganze Tiefe seiner Glaubenserkenntnis mit
dem feinen Wort von der ,,getrosten Verzweiflung“4. Wir kennen die Antwort nicht, die Luther bekam.
Aber, auch wenn sie ein freudiges Ja war - Spenlein blieb allein.
Gepredigt wurde dieses Verständnis in Memmingen zuerst durch den Prediger Christoph Schappe-
ler5, der in enger Zusammenarbeit mit Ulrich Zwingli stand. Schon im April 1522 stellte man dort fest,
1 A. Westermann, Die Bevölkerungsverhältnisse Memmingens im ausgehenden Mittelalter, in: Memminger
Geschichtsblätter 2 (1913) 5-8. 14f. 17-23; 7 (1921) 25-29; 8 (1922) 9-13. 17-23. 25ff.
2 Rohling 36-40.
3 Eine anschauliche Übersicht über den Bestand an Benefizien in: Memminger Gesch.-Bl. 1 (1914) 36f. (nach Sont-
heimer 1). 4 WA Br 1, 33—36.
5 Aus St. Gallen. - Dr. theol., Dic. iur., 1503 St. Gallen Lehrer, 1513 Memmingen St. Martin Vöhlinprediger, 1525
St. Gallen Prediger, später Linsibühl Prediger, dann St.Gallen St. Mang Prediger — † 1551 (Wilh. Vogt, in:
ADB 30, 576-581; RE 17, 523-527).

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