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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (12. Band = Bayern, 2. Teil): Schwaben: Reichsstädte Augsburg, Dinkelsbühl, Donauwörth, Kaufbeuren, Kempten, Lindau, Memmingen, Nördlingen, Grafschaft Oettingen-Oettingen — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1963

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https://doi.org/10.11588/diglit.30628#0241
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daß der Pfarrer ,,großen Mangel und Abgang von des Luthers wegen“ erleide. Bald wurde auch noch
der Prediger Gerung im Elsbethkloster (Augustinerinnen) evangelisch. Am 26. Juni 1523 verweigerte
der Rat das vom Kaiser geforderte Verbot, Luthers Schriften zu verkaufen. Er beschloß vielmehr aus-
drücklich, jedermann tun zu lassen, was er wolle. Der katholisch gesinnte Stadtschreiber Vogelmann
schrieb dazu ins Protokollbuch: „Der Teufel schlag drein!“ Dann begannen die Flugschriften des
Kürschners und Krämers Sebastian Lotzer 6 ihre gewaltige Werbekraft zu üben. „Wäre noch mein Rat“,
schrieb er: ,, Welcher zween Röcke hat, der verkaufe den einen und kaufe ein Neues Testament! Es
habens viele Laien bei uns.“ Als Schappeler im November dieses Jahres von der 2. Züricher Disputation7,
auf der er mit den Vorsitz geführt hatte, zurückkehrte, erklomm die Begeisterung ihren Höhepunkt. Die
jubelnde Gemeinde brachte ihren Prediger immer in großem Zug zur Kirche und wieder heim. Vogel-
mann aber schrieb verärgert ins Protokollbuch: ,,Luther will einbrechen!“8
Als im Januar 1524 ein Franziskaner als Gastprediger bei St.Martin eifrig die Heiligenverehrung
verteidigte, forderte ihn Schappeler gleich zu einem Streitgespräch heraus. Der Franziskaner lehnte
aber ab9.
Am 7. Dezember 1524 hielt Schappeler, auf dessen Seite jetzt auch noch die Helfer von St.Martin
getreten waren, an der Martinskirche die erste evangelische Abendmahlsfeier. Am 16. Dezember bat
eine Abordnung der Frauenpfarrei den Rat, er möge ihr zur gleichen Feier verhelfen. Wenn ihr Pfarrer
sich weigere, solle der Rat die Entscheidung durch eine öffentliche Disputation zwischen dem Pfarrer
und Schappeler herbeiführen. An Weihnachten kam es in der Frauenkirche zu Vorfällen, die den Rat
veranlaßten, darauf einzugehen. Pfarrer Megerich zog seinen Vespergottesdienst so lange hinaus, daß
für den folgenden Gottesdienst des evangelischen Kaplans kaum mehr Zeit blieb. Darüber entstanden
Unruhen in der Kirche. Der Pfarrer mußte sich in die Sakristei flüchten. Erst, nachdem er den herbei-
geeilten Ratsherren versprochen hatte, sich einer Disputation mit Schappeler zu stellen, konnte er sie un-
gefährdet verlassen.
Am Montag, 2. Januar 1525, begann dieses Religionsgespräch auf dem Rathaus. Die Evangeli-
schen hatten dafür 7 Thesen aufgestellt. Der Arzt Ludwig Wolfhart führte den Vorsitz. Am Freitag
mittags gaben die Altgläubigen den Kampf auf. Schappeler zog sogleich die praktischen Folgerungen.
Der Rat sandte sie an verschiedene Männer zu gutachtlicher Äußerung. Daraufhin wurde unter anderem
die Messe eingestellt10. Auch die Frauenkirche erhielt jetzt anfangs Januar 1525 in Simprecht Schenck11
einen evangelischen Prediger.
Im Mai kam es in Zusammenhang mit dem Bauernkrieg zu Unruhen auch innerhalb der Stadt. Der
Rat bat deshalb den Schwäbischen Bund um 300 Mann Besatzung. Deren Hauptleute gingen sogleich
gegen die Evangelischen vor. Zwanzig von ihnen hatten schon die Stadt verlassen; Schappeler hielt sich
verborgen. Am Sonntag, 11. Juni, wurden drei Männer auf dem Marktplatz enthauptet. Unter ihnen
war der Schulmeister Paul Höpp, dessen Hauptverbrechen darin bestanden hatte, daß er der Wortführer

6 Aus Horb. - Verfaßte außer zahlreichen anderen Flugschriften vor allem die Zwölf Artikel der Bauernschaft, deren
Baltringer Haufe ihn zu seinem Kanzler wählte. Bei der Niederwerfung des Bauernkrieges verschollen (Bossert,
in: ADB 52, 97—102; Seb. Lotzer in seinen Schriften. Memmingen 1906. — Vogt 6, 413—425. 479-498. — Schriften
herausgeg. von A. Götze. Leipzig 1902).
7 CR 91 ( = Zwingli 4) 664-804.
8 Dobel 1, 31—37. 9 Braun, Kontroverspredigt.
10 Dobel 1, 57—66. — Westermann 4 lff. - Miedel.
11 Aus Wertingen - Buxheim Kartäusermönch, 1524 als evangelisch ausgeschieden, 1523 Meilen am Züricher See
Kaplan, 1525 Memmingen Städtischer Prediger an der Frauenkirche, im Bauernkrieg Zürich ohne Dienst, Ok-
tober 1526 Memmingen St. Martin Nachmittagsprediger, 1534 zur Reformation in Württemberg beurlaubt, 1535
wegen eines nicht öffentlich bekanntgewordenen Ehebruchs entlassen, 1535 Kempten Prediger, 1539 Herrenberg
Stiftsprediger, 1548 als Gegner des Interims entlassen. 1549 Dornstetten Katechist, dann Pfarrer, 1551 auch
Superintendent — † 1559 (Schenck. — Westermann).

15 Sehling, Bd. XII, Bayern II: Schwaben

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