Metadaten

Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (12. Band = Bayern, 2. Teil): Schwaben: Reichsstädte Augsburg, Dinkelsbühl, Donauwörth, Kaufbeuren, Kempten, Lindau, Memmingen, Nördlingen, Grafschaft Oettingen-Oettingen — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1963

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.30628#0290
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Stadt eine Georgskirche an ihre Stelle getreten. Das Patronatsrecht an diesen Kirchen stand seit 1312 dem
Zisterzienserkloster Heilsbronn zu; ihm waren sämtliche Pfründen inkorporiert. Neben einem schon im
Anfang des 13. Jahrhunderts bestehenden Spital gab es in der Stadt noch ein Franziskanerkloster und
ein Karmeliterkloster.
Für das rege geistige und religiöse Leben Nördlingens in der Zeit unmittelbar vor der Reformation
zeugt vor allen Dingen die gewaltige als Hallenkirche neu gebaute Georgskirche, deren Langhaus in den
Jahren 1495-1505 eingewölbt wurde4.
Der Pfarrer Nördlingens zu Beginn der Reformationszeit war als kaiserlicher Sekretär stets ab-
wesend und ließ sich durch junge, oft wechselnde Vikare vertreten. So war die Gemeinde infolge dieses
damals üblichen Mißstandes ohne geistliche Führung.
Luthers Auftreten scheint zuerst im Karmeliterkloster Beachtung und Zustimmung gefunden zu
haben und zwar bei dem Prior Kaspar Kantz5.
Ob seine Absetzung als Prior und seine Vertreibung aus Nördlingen im Sommer 1518, dann aber
auch seine Übersiedelung nach Augsburg schon auf evangelische Haltung zurückgeht, ist ungewiß. Wenn
es nicht der Fall war, gewann Kantz während seiner Tätigkeit als Lesemeister am Augsburger Karmeli-
terkloster (1518-1519) bei Luthers Freund Frosch dessen Verständnis der Bibel. 1519 kehrte Kantz als
Prior nach Nördlingen zurück, und nun muß auch die Bürgerschaft in starker Weise von den Gedanken
der Reformation erfaßt worden sein, noch bevor 1522 Diepold Gerlacher, nach seiner Heimat Bil-
ligheim Billicanus genannt, als Prediger an der Georgskirche aufzog. Er war von Luther in Heidelberg für
die Reformation gewonnen worden6 und jetzt in Weil der Stadt, wo er als Prediger tätig war, wegen sei-
ner evangelischen Haltung entlassen worden. Die Stadt Nördlingen, die ihn auf eine für ihn eigens und
neu geschaffene und von der Stadt besoldete Predigerstelle holte, war sich über diese Vorgeschichte ihres
neuen Predigers gewiß nicht im Unklaren. Das ergibt sich auch daraus, daß sie sich gleichzeitig ihren
neuen Rektor aus Wittenberg holte und dieser seinem Ja zu diesem Ruf gleich eine neue reformatorische
Schrift beilegte und weitere in Aussicht stellte7.
Im gleichen Jahre noch begannen in der Karmeliterkirche8 auch bereits die Neugestaltungen gottes-
dienstlicher Formen. Kaspar Kantz schrieb zuerst, als die römische Messe noch ungeändert in Gebrauch
war, eine erbauliche Anleitung zum rechten Abendmahlsempfang samt Gebeten9. Damit wollte er den
Evangelischen helfen, der Messe in rechtem Verständnis beizuwohnen. Erhalten ist sie nur in Drucken,
die auch die deutsche Messe enthalten10. Dann hielt er die Messe in deutscher Sprache, die er auch gleich
in Druck gab und so veröffentlichte11. Sie schloß sich wahrscheinlich an einen Predigtgottesdienst, nicht
etwa an einen bis dahin in Gestalt des Wortteils der römischen Messe gehaltenen Gottesdienst an. Kantz

4 KD B Nördlingen 1-122.
5 Bürgerssohn aus Nördlingen. — Um 1500 Nördlingen Karmeliter, Studium in Leipzig bis zum Sententiarius, 1513
Prior seines Klosters, 1518 aus unbekanntem Grunde abgesetzt, Augsburg Karmeliterkloster Lesemeister, 1519
Nördlingen erneut Prior, heiratet 1523, deshalb vorübergehend vertrieben, dann deutscher Schulmeister in Nörd-
lingen, 1533 Diakon, 1535 Prediger bei St. Georg, 1543 wegen Krankheit in den teilweisen Ruhestand - † 6. Dez.
1544. Verfasser verschiedener Erbauungsschriften. (Geyer, Kantz. —Geyer, in: RE 10, 22—28. — Smend 80f. -
Cantz. - Wulz. - Adalbert Decker, Die oberdeutsche Provinz der Karmeliten nach den Akten ihrer Kapitel von
1421-1529 [ = Archivum historicum Carmelitanum 1]. Rom 1961. 155. 342).
6 *um 1490 Billigheim bei Bergzabern. Student in Heidelberg, 1522 Weil der Stadt Prediger, wegen evangelischer
Predigt entlassen, Nördlingen Prediger, schwört 1530 jeder Irrlehre ab, 1535 Heidelberg Student und Lehrer der
Jurisprudenz, 1544 Marburg Professor der Rhetorik- † 1554 (ADB 2, 638f. -Kolde, in: RE 3, 232jf. — Kolde,
Zur Geschichte des Billicanus).
7 Karl Kern, Zur Lutherbibliographie, in: BbKG 10 (1904) 217f.
8 KDB Nördlingen 123—145. — Die Kirche wurde 1826 der katholischen Gemeinde übergeben und ist seither katho-
lische Pfarrkirche (Steichele 3, 1030. 1058—1066).
9 Abgedruckt bei Smend 41—46. 10 Smend 38—46.
11 Unsere Nr. VIII 1. -Smend 72-94.-Fendt 88-93. - Bernh. Klaus, Die Rüstgebete, in: Leiturgia 2, 549. 551f.

274
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften