16. Juni 2001
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Herr Volker Sellin hält seine Antrittsrede
Dies ist in meinem Leben das zweite Mal, daß ich mich vor einem größeren Kreis vor-
stellen soll. Zum ersten Mal stand ich vor dieser Aufgabe im Februar 1987, als ich für
das Amt des Rektors der Universität Heidelberg kandidierte. Während der Große
Senat damals auch meine Auffassungen zur Hochschulpolitik hören wollte, kann ich
mich heute auf die Darstellung meines akademischen Werdegangs und meiner wissen-
schaftlichen Arbeit beschränken.
Seit 1980 habe ich den einen der beiden Lehrstühle für Neuere Geschichte an der
Universität Heidelberg inne, wo ich mich im Jahre 1975 auch habilitiert hatte. Mein
wichtigster akademischer Lehrer in der Neueren Geschichte war Werner Conze. Den
wissenschaftlichen Interessen Conzes folgend habe ich meine Dissertation über ein
Thema aus dem Bereich der Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts geschrieben: über
die Anfänge der italienischen Sozialgesetzgebung. Die italienische Geschichte ist bis
heute eines meiner bevorzugten Arbeitsgebiete geblieben. Zuletzt habe ich mich mit
der Geschichte der italienischen Juden zwischen Emanzipation und Holocaust
beschäftigt.
Die Forschungsreisen nach Italien waren nicht die ersten Auslandsaufenthalte
während meines Studiums. Schon nach dem ersten Semester, das ich in München der
Jurisprudenz gewidmet hatte, erhielt ich dank eines Rotary-Stipendiums die Gelegen-
heit, für ein Jahr an einem College in den Vereinigten Staaten zu studieren. Im Win-
tersemester 1959/60 begann ich in Heidelberg mit dem Studium der Fächer Geschich-
te und Philosophie und lernte gleich anfangs Karl Löwith und Hans-Georg Gadamer
kennen. Später hörte ich in Tübingen zwei Semester lang Walter Schulz. Es fehlte
wenig, und ich hätte die Philosophie zu meinem Schwerpunkt gemacht.
Nach meiner Promotion im Jahre 1968 und den unfruchtbaren Jahren der soge-
nannten Studentenbewegung, die ich in Heidelberg als Conzes Assistent erlebte, erar-
beitete ich eine Habilitationsschrift über den wirtschaftlichen Wiederaufbau der Kur-
pfalz nach dem Dreißigjährigen Krieg. Das Europa des Anden Regime näher zu ken-
nen, war mir ein dringendes Anliegen, weil ich bestrebt war, die durch die moderne
Revolution bewirkten Veränderungen auch von den historischen Voraussetzungen her
zu begreifen. Die für seine Zeit ungewöhnlich liberalen Vorstellungen des pfälzischen
Kurfürsten Karl Ludwig führten mich in der Folge zur Auseinandersetzung mit dem
aufgeklärten Absolutismus Friedrichs des Großen. Wie schon die Dissertation, so
bezog auch die Habilitationsschrift wirtschaftsgeschichtliche Fragestellungen mit ein:
zweifellos eine Fernwirkung meiner Beschäftigung mit den Grundfragen der Volks-
wirtschaftslehre während meines Studienjahrs in den Vereinigten Staaten, aber auch
Ergebnis des Besuchs mehrerer wirtschaftsgeschichtlicher Seminare bei Erich Masch-
ke in Heidelberg. Als die Habilitation in Heidelberg im Juli 1975 abgeschlossen war,
überredete mich Conze dazu, die Artikel Politik und Regierung/Obrigkeit für die von
ihm mitherausgegebenen Geschichtlichen Grundbegriffe zu schreiben. Die Begriffsge-
schichte war in den sechziger Jahren in Heidelberg neu begründet worden. Die beiden
Hauptinitiatoren waren Werner Conze und Reinhart Koselleck gewesen, aber es ist
gleichzeitig unverkennbar, daß auch die Gadamersche Hermeneutik, vermittelt vor
allem durch Reinhart Koselleck, einen wesentlichen Impuls dazu beigetragen hatte.
Die Arbeit an den beiden mir zugeteilten Artikeln hat mir nicht nur die Fruchtbarkeit
semantischer Reflexion, sondern auch die Bedeutung historischer Längsschnittanaly-
sen von der Antike bis zur Gegenwart vor Augen geführt. Was nun vorlag, genügte
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Herr Volker Sellin hält seine Antrittsrede
Dies ist in meinem Leben das zweite Mal, daß ich mich vor einem größeren Kreis vor-
stellen soll. Zum ersten Mal stand ich vor dieser Aufgabe im Februar 1987, als ich für
das Amt des Rektors der Universität Heidelberg kandidierte. Während der Große
Senat damals auch meine Auffassungen zur Hochschulpolitik hören wollte, kann ich
mich heute auf die Darstellung meines akademischen Werdegangs und meiner wissen-
schaftlichen Arbeit beschränken.
Seit 1980 habe ich den einen der beiden Lehrstühle für Neuere Geschichte an der
Universität Heidelberg inne, wo ich mich im Jahre 1975 auch habilitiert hatte. Mein
wichtigster akademischer Lehrer in der Neueren Geschichte war Werner Conze. Den
wissenschaftlichen Interessen Conzes folgend habe ich meine Dissertation über ein
Thema aus dem Bereich der Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts geschrieben: über
die Anfänge der italienischen Sozialgesetzgebung. Die italienische Geschichte ist bis
heute eines meiner bevorzugten Arbeitsgebiete geblieben. Zuletzt habe ich mich mit
der Geschichte der italienischen Juden zwischen Emanzipation und Holocaust
beschäftigt.
Die Forschungsreisen nach Italien waren nicht die ersten Auslandsaufenthalte
während meines Studiums. Schon nach dem ersten Semester, das ich in München der
Jurisprudenz gewidmet hatte, erhielt ich dank eines Rotary-Stipendiums die Gelegen-
heit, für ein Jahr an einem College in den Vereinigten Staaten zu studieren. Im Win-
tersemester 1959/60 begann ich in Heidelberg mit dem Studium der Fächer Geschich-
te und Philosophie und lernte gleich anfangs Karl Löwith und Hans-Georg Gadamer
kennen. Später hörte ich in Tübingen zwei Semester lang Walter Schulz. Es fehlte
wenig, und ich hätte die Philosophie zu meinem Schwerpunkt gemacht.
Nach meiner Promotion im Jahre 1968 und den unfruchtbaren Jahren der soge-
nannten Studentenbewegung, die ich in Heidelberg als Conzes Assistent erlebte, erar-
beitete ich eine Habilitationsschrift über den wirtschaftlichen Wiederaufbau der Kur-
pfalz nach dem Dreißigjährigen Krieg. Das Europa des Anden Regime näher zu ken-
nen, war mir ein dringendes Anliegen, weil ich bestrebt war, die durch die moderne
Revolution bewirkten Veränderungen auch von den historischen Voraussetzungen her
zu begreifen. Die für seine Zeit ungewöhnlich liberalen Vorstellungen des pfälzischen
Kurfürsten Karl Ludwig führten mich in der Folge zur Auseinandersetzung mit dem
aufgeklärten Absolutismus Friedrichs des Großen. Wie schon die Dissertation, so
bezog auch die Habilitationsschrift wirtschaftsgeschichtliche Fragestellungen mit ein:
zweifellos eine Fernwirkung meiner Beschäftigung mit den Grundfragen der Volks-
wirtschaftslehre während meines Studienjahrs in den Vereinigten Staaten, aber auch
Ergebnis des Besuchs mehrerer wirtschaftsgeschichtlicher Seminare bei Erich Masch-
ke in Heidelberg. Als die Habilitation in Heidelberg im Juli 1975 abgeschlossen war,
überredete mich Conze dazu, die Artikel Politik und Regierung/Obrigkeit für die von
ihm mitherausgegebenen Geschichtlichen Grundbegriffe zu schreiben. Die Begriffsge-
schichte war in den sechziger Jahren in Heidelberg neu begründet worden. Die beiden
Hauptinitiatoren waren Werner Conze und Reinhart Koselleck gewesen, aber es ist
gleichzeitig unverkennbar, daß auch die Gadamersche Hermeneutik, vermittelt vor
allem durch Reinhart Koselleck, einen wesentlichen Impuls dazu beigetragen hatte.
Die Arbeit an den beiden mir zugeteilten Artikeln hat mir nicht nur die Fruchtbarkeit
semantischer Reflexion, sondern auch die Bedeutung historischer Längsschnittanaly-
sen von der Antike bis zur Gegenwart vor Augen geführt. Was nun vorlag, genügte