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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2001 — 2002

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I. Das Geschäftsjahr 2001
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Gesamtsitzung am 16. Juni 2001
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Cremer, Thomas: Vom DNA-Faden zur Zellkernarchitektur: Wie funktioniert unser Genom?
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https://doi.org/10.11588/diglit.66350#0076
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16. Juni 2001

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Untersuchungen zur Chromatinanordnung in fixierten Zellen
Die Frage, ob die Anordnung von Chromosomen zufällig oder nicht-zufällig ist, hat
Cytogenetiker seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts beschäftigt. Die damali-
gen Analysen der Chromosomenanordnung in Metaphasespreitungen waren aber aus
methodischen Gründen unzulänglich und führten zu widersprüchlichen Ergebnissen.
Um Konfusion zu vermeiden, muss man zunächst präzise definieren, was man mit den
Begriffen zufällig bzw. nicht zufällig meint. Ein bestimmte suprachromosomale
Anordnung kann in einer Hinsicht zufällig, in einer anderen Hinsicht jedoch hoch
geordnet sein. Dies kann man sich leicht klar machen, wenn man den Zellkern mit
einer Arena, die Chromosomenterritorien mit Zuschauern und ihre Positionierung
mit Stehplätzen vergleicht. Während einer Vorstellung (einer Interphase) behalten die
Zuschauer ihre zum Beginn eingenommenen Plätze und damit ihre Nachbarschaften
bei (siehe unten). Dies schließt lokal begrenzte Bewegungsspielräume einzelner
Zuschauer nicht aus. Wenn man die Nachbarschaften derselben Zuschauer bei aufein-
anderfolgenden Vorstellungen analysiert, mag sich eine weitgehende Zufälligkeit her-
ausstellen. Das schließt natürlich eine Nichtzufälligkeit der Nachbarschaft bestimmter
Zuschauergruppen nicht aus und ebensowenig die Möglichkeit eines hohen Grades an
radialer Ordnung. So können bestimmte Zuschauer beispielsweise billige Plätze im
Außenbereich der Arena bevorzugen andere teure Plätze im Innenbereich. Auch für
den Fall, daß Nachbarschaften und radiale Anordnung der Individuen weitgehend
zufällig sein sollten, erwarten wir einen hohen Grad an Nichtzufälligkeit im Hinblick
auf die Orientierung der Zuschauer, die alle mit den Füßen auf dem Boden stehen, den
Kopf in die Höhe recken und zum Spielfeld hinschauen.
Die Entwicklung der Fluoreszenz in situ Hybridisierung (FISH) an fixierten, dreidi-
mensional möglichst intakten Zellkernen, der konfokalen Laser Scanning Mikroskopie
und der dreidimensionalen Bildanalyse hat es ermöglicht, ganze individuelle Chromo-
somen, ihre Chromosomenarme und Banden bis hinunter zur Ebene einzelner Gene
farbig im Zellkern darzustellen und ihre dreidimensionalen Positionen zu bestimmen.
Für diese Zwecke stehen heute eine grofle Auswahl an DNA-Sonden unterschiedlicher
Komplexität beim Menschen und vielen anderen Spezies zur Verfügung.
Mit unseren Untersuchungen konnten wir für menschliche, somatische Zellen eine
Hypothese untermauern, die Theodor Boveri schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts
für sein Untersuchungsobjekt, den Pferdespulwurm, aufgestellt hat: Individuelle
Chromosomen nehmen im Zellkern voneinander abgegrenzte Territorien ein. Zu
Beginn der Interphase ergibt sich eine bestimmte Nachbarschaft der Chromosomen-
territorien, die während der gesamten Interphase beibehalten wird. Die Nachbar-
schaften von Chromosomen können sich im Verlauf der Chromosomenbewegungen
bei der Bildung der Metaphaseplatte ändern. Die Bewegungen der Chromosomen-
spalthälften, der Chromatiden, während der Anaphase und Telophase erfolgen spie-
gelbildlich und als Resultat findet sich eine weitgehend symmetrische Anordnung der
Chromosomenterritorien in den beiden Tochterkernen. Diese Anordnung kann aber
deutlich von der Anordnung in der Mutterzelle abweichen. Bei der Züchtung von
Zellklonen aus einzelnen Zellen kommt es demgemäß zu einer starken Variabilität der
Anordnung der Chromosomenterritorien mit Ausnahme von Tochterkernen (Walter
et al., 2002) . Um zu entscheiden, wie weit diese Befunde generalisiert werden können,
bedarf es weiterer Untersuchungen. Im Hinblick auf verschiedene Hinweise, dass es
während der terminalen Differenzierung postmitotischer Zellen zu reproduzierbaren
 
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