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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2001 — 2002

DOI Kapitel:
I. Das Geschäftsjahr 2001
DOI Kapitel:
Gesamtsitzung am 16. Juni 2001
DOI Artikel:
Cremer, Thomas: Vom DNA-Faden zur Zellkernarchitektur: Wie funktioniert unser Genom?
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https://doi.org/10.11588/diglit.66350#0077
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Sitzungen

Chromatinumlagerungen im Zellkern kommen kann, sind Untersuchungen zur
Anordnung von Chromosomenterritorien in verschiedenen terminal differenzierten
Zelltypen von besonderem Interesse.
Im Gegensatz zur Variabilität der Nachbarschaften von Chromosomenterritorien
beobachten wir und andere Arbeitsgruppen eine nicht-zufällige radiale Anordnung
von gendichtem und genarmem Chromatin. Als Beispiel sei die Verteilung der Terri-
torien der menschlichen Chromosomen 18 und 19 in den nahezu kugelförmigen Ker-
nen von Lymphozyten skizziert. Die beiden Chromosomen haben einen ähnlichen
DNA-Gehalt (86 Mb and 72 Mb). Das Chromatin von Chromosom 18 des Menschen
{Homo sapiens, HSA) ist jedoch genarm (4.3 Gene/Mbp), während das Chromatin
von HSA 19 genreich ist (20.5 Gene/Mbp). In der Positionierung ergibt sich ein hoch-
signifikanter Unterschied: Die HSA 19 Territorien sind zur Mitte des Zellkerns hin
gelegen, die HSA 18 Territorien dagegen am Kernrand (Cremer et al., 2001a; Croft et
al., 1999). Eine Untersuchung lymphoblastoider Zelllinien höherer Primaten (von
Menschenaffen bis zu Neuweltaffen) ergab, dass diese Topologie trotz divergenter
Karyotypevolution konserviert ist (Tanabe, 2002a). So sind HSA 19 homologe
Chromosomensegmente, beispielsweise bei der Gibbonspezies Hylobates lar auf drei
Chromosomen transloziert. Auch hier sind diese Segmente jedoch hochsignifikant
nach innen positioniert, während HSA 18- homologe Abschnitte in der Kernperiphe-
rie angeordnet sind. Diese bei Primatenspezies über einen Zeitraum von etwa 30 bis
40 Millionen Jahre nachzuweisende evolutionäre Konservierung der radialen Anord-
nung von genreichem und genarmem Chromatin lässt sich noch wesentlich weiter
zurückverfolgen. Zellkerne verschiedener Zelltypen des Huhns {Gallus domesticus)
zeigen eine distinkt unterschiedliche Anordnung ihrer genreichen Mikrochromoso-
men im Inneren der Zellkerne und der vergleichsweise genarmen Makrochromosomen
in der Kernperipherie (Habermann et al., 2001). Vergleiche zwischen den Genkarten
von Mensch und Huhn zeigen, dass Hühnergene mit Homologie zu Genen auf HSA
19 auf Mikrochromosomen liegen, während Hühnergene mit Homologie zu Genen
auf HSA 18 auf den Makrochromosomen 2 und Z zu finden sind (zur Übersicht siehe
(Tanabe et al., 2002b (im Druck)). Diese Daten unterstützen die Hypothese, dass die
unterschiedliche radiale Anordnung von genarmem und genreichem Chromatin schon
vor der Aufspaltung der Linien zu den heutigen Säugetieren und Vögeln, also seit min-
destens 300 Millionen Jahren, besteht.
Eine nicht-zufällige, radiale Anordnung von genreichem und genarmem Chromatin
wird weiterhin durch Befunde gestützt, die zeigen, dass das Chromatin der dunklen
G-Banden, die relativ genarm sind, gewebsspezifische Gene enthalten und in Mitte der
S-Phase oder noch später replizieren, bevorzugt an der Kernperipherie und um die
Nukleoli herum liegt, während das Chromatin der genreichen und früh replizierenden
hellen G-Banden (bzw. R- und T-Banden) bevorzugt im inneren Kernbereich zwi-
schen den später replizierenden Chromatinbereichen angeordnet ist (O’Keefe et al.,
1992; Zink et al., 1999). Diese Anordnung ermöglicht eine unmittelbare Nachbar-
schaftsbeziehung zwischen genreichem und genarmem Chromatin benachbarter
Chromosomenterritorien und damit die Bildung von Kompartimenten höherer Ord-
nung.
Es ist noch nicht möglich, die genannten Befunde einer nichtzufälligen Chromatin-
anordnung in eine Theorie der funktionellen Zellkernarchitektur zu integrieren. Es
bestehen zelltypspezifische Unterschiede der Anordnung, deren funktionelle Bedeu-
 
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