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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2001 — 2002

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I. Das Geschäftsjahr 2001
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Gesamtsitzung am 15. Dezember 2001
DOI Artikel:
Leiderer, Paul: Antrittsrede vom 15. Dezember 2001
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Langewiesche, Dieter: Was ist Krieg?: Zum Wandel von Krieg und Kriegslegitimation in der Neuzeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.66350#0124
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15. Dezember 2001

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Mitglied Ihrer Akademie versuchen. Ich möchte mich noch einmal für die Ehre und
die hohe Anerkennung bedanken, die Sie mir mit der Wahl entgegengebracht haben.
Herr Dieter Langewiesche hält einen Vortrag: „Was ist Krieg? Zum Wandel von Krieg
und Kriegslegitimation in der Neuzeit.“
Die Ereignisse des 11. September 2001 in New York und Washington haben erstmals
einer breiteren Öffentlichkeit vor Augen geführt, was die sozialwissenschaftliche
Kriegsforschung seit längerem weiß: Die weitaus meisten Kriege seit dem Ende des
Zweiten Weltkrieges sind Gewalthandlungen zwischen einem Staat und nichtstaatli-
chen Gruppen, während der Krieg zwischen Staaten selten geworden ist. Da diese
Form des modernen Krieges ganz überwiegend in Afrika und Asien stattfindet, hat die
europäische und nordamerikanische Öffentlichkeit sie noch kaum zur Kenntnis
genommen. Die neue Hauptform des Krieges seit der Mitte des 20. Jahrhunderts
widerruft das Staatsmonopol auf Krieg, das die europäischen Staaten seit dem 16. Jahr-
hundert weitgehend durchgesetzt hatten.
Was bedeutet dieser Widerruf einer Entwicklung, die den Staat zum Monopolherrn
legitimer Gewalt (Max Weber) werden ließ, für die historische Kriegsforschung? Der
Vortrag betrachtete diese Frage in zwei Bereichen. Zum einen wurde nach der Bedeu-
tung anthropologischer Konstanten in der Bereitschaft des Menschen zum Krieg
gefragt. So scheint die Dehumanisierung des Feindes in allen Epochen der Mensch-
heitsgeschichte eine Voraussetzung gewesen zu sein, den Menschen bereit zu machen,
das Töten anderer als legitim anzusehen. Dabei werden die (zeit- und gesellschafts-
spezifisch unterschiedlichen) Verhaltensstandards, die auch im Krieg beachtet werden,
gegen den kulturell Fremden leichter außer Kraft gesetzt als gegenüber Gegnern, die
als kulturell vertraut und gleichrangig gelten. Deshalb gehört es zu den geläufigen
Praktiken im Krieg, den Feind aus dem eigenen Kulturkreis auszugrenzen. Der Krieg
der Waffen wird begleitet von einem Krieg der Worte, in dem es um die Deutung des
Geschehens geht. Das Ende des militärischen Krieges muß nicht das Ende des Deu-
tungskrieges bedeuten.
Zum zweiten skizzierte der Vortrag den Wandel von Kriegsvorstellungen und
Kriegslegitimationen seit dem Mittelalter bis zur Gegenwart. Dabei stand die Frage im
Mittelpunkt, wie die Idee der modernen Nation die Auffassungen vom Krieg verän-
dert hat. Carl von Clausewitz hat die Zäsur der Kriegslegitimation, die sich um 1800
ereignete, bis heute unübertroffen theoretisch formuliert. Der Übergang vom ‘Kabi-
nettskrieg’ zum ‘Volkskrieg’ veränderte die Art, wie Kriege geführt und begründet
wurden, grundlegend. Drei Aspekte wurden hervorgehoben: 1. Der neue Souverän,
das zur Nation gewordene Volk, mußte von der Notwendigkeit des Krieges überzeugt
werden. 2. Der Krieg wurde in den Dienst der revolutionären Idee ‘Nation’ gestellt, so
daß er sich zum Missionskrieg im Namen des ‘Fortschritts’ entwickeln konnte. 3. Die
neue Art, den Krieg zu legitimieren, erforderte auch eine neue Form der Krieg-
führung. Das Stehende Heer, zusammengesetzt aus einer Mischung von angeworbe-
nen Söldnern und zwangsrekrutierten Soldaten, ging unter mit der Staatsform des
Absolutismus. Die revolutionäre Nation schuf sich einen neuen Typus der Armee und
des Soldaten. Der Dienst an der Nation verlangte im Prinzip von jedem Mann, bereit
zu sein, für die eigene Nation in den Krieg zu ziehen. Die allgemeine Wehrpflicht
wurde deshalb zur Rückseite des neuen Ideals einer staatsbürgerlichen Egalität unter
 
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