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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2003 — 2004

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I. Das Geschäftsjahr 2003
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Antrittsreden
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Esser, Hartmut: Antrittsrede vom 13. Dezember 2003
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https://doi.org/10.11588/diglit.67592#0138
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150 | ANTRITTSREDEN

Antrittsrede von Herrn HARTMUT ESSER
an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften vom 13. Dezember 2003.

Sehr geehrter Herr Präsident,
meine Damen und Herren!
Die Soziologie ist, darin können sicherlich viele auch
von Ihnen übereinstimmen, em in mancherlei Hinsicht
schwieriges Fach, und wohl auch deshalb sind, jeden-
falls nach meiner Erfahrung, die Soziologen meist keine
besonders einfachen Zeitgenossen. Dass sie so schwie-
rig ist, liegt freilich an ihrem Gegenstand selbst. Wie
könnte es auch anders sein? Max Weber hat das Pro-
blem in seiner berühmten Definition des Faches in ein-
fachen Worten zusammen gefasst: Es geht bei ihr um
das „deutende Verstehen“ des „subjektiven Sinns“ und um das „dadurch“ geleitete
„ursächliche Erklären“ des Ablaufs und der gesellschaftlichen Wirkungen des sozia-
len Handelns gleichzeitig. Das Problem ist offenkundig: Für das „Verstehen“ gibt es
einerseits in der Tat kein Äquivalent in den Naturwissenschaften, und es ist auch
nicht einfach nur em Sonderfall des kausalen Erklärens, aber es kann und muss ande-
rerseits nach analytischen Regeln vorgenommen werden und ist von kausalen
Erklärungen zwingend durchzogen. So kann man schon verstehen, dass sich die
Soziologie, bis heute, als eine Sammlung ganz verschiedener und für unüberbrück-
bar gehaltener Spielarten, Schulen und „Paradigmen“ darstellt, die, etwas vereinfa-
chend gesagt, die von Weber zusammen geführten Punkte jeweils wieder trennen
und radikalisieren. Diese Antrittsrede gibt mir die Gelegenheit zu versuchen, Ihnen
verständlich zu machen, was mich an der Soziologie von Anfang an so fasziniert hat,
warum ich glaube, dass die diversen, ihre Arbeit sehr behindernden und ihren Stand
nicht gerade erleichternden, Spaltungen unnötig sind und was ich getan habe, damit
sich das vielleicht ein wenig ändert.
Geboren wurde ich am 21. Dezember 1943 in Elend im Harz, Kreis Wernige-
rode, wohin es meine Eltern in dieser Zeit aus dem Rheinland verschlagen hatte, und
zwar im Haus Mühe und in der Nähe des Dorfes Zorge, das allerdings wenigstens
vorne mit einem Z geschrieben wird. Vielleicht hat die Unabhängigkeit der
Bezeichnungen mit dem, was dann später,jedenfalls aus meiner Sicht, kam, auch eine
deutliche Affinität zu jener nicht überall in den Geistes- und Sozialwissenschaften
geläufigen oder geteilten erkenntnistheoretischen Position erzeugt, die man als
Begriffsnominalismus bezeichnet: Lass Dich durch Namen und Begriffe nicht beein-
drucken, es sind stets nur Bezeichnungen und nicht schon die Wirklichkeit. Nach der
Rückkehr meiner Eltern ins Rheinland und dem Besuch des altsprachlichen Zweigs
des Staatlichen Gymnasiums in Jülich habe ich im Februar 1963 dort das Abitur
gemacht und war dann bei der Bundeswehr, zwei Umstände, die, wie sich später
zeigte, für die Wahl des Studiums und für das Zurechtfinden in dem gewählten Fach,
 
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