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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2003 — 2004

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III. Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses: Das WIN-Kolleg
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2. Forschungsschwerpunt "Kulturelle Grundlagen der Europäischen Einigung"
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https://doi.org/10.11588/diglit.67592#0289
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Das WIN-Kolleg

301

— in der‘Mythisierung’von Nationalität und Nationalismus im 19. Jh. oder in natio-
nalen „Erinnerungsorten“,
— im Bezug auf gemachte Erfahrung oder Traumata — etwa den Holocaust — als
handlungsleitender Instanz,
— oder schließlich: in aktuellen Versuchen, dem ‘neuen’ Konstrukt der Europäischen
Union über „europäische Gründungsmythen“, Ursprungsgeschichten oder
Geschichtsräumen historische Tiefe, ja erst Gestalt zu verleihen.
Um die Konstruktion von Vergangenheit lagern sich Institutionen (etwa
Archive) wie Professionen (etwa Historiker); mit ihr konstituieren sich Denkformen
(etwa „Tradition“ oder „Geschichte“) wie kulturelle Praktiken (wie „historische
Forschung“ oder „Gedächtnis“).
Man könnte diese kulturelle Grundlage auf eine ihr inhärente grundsätzliche
Dynamik untersuchen: auf das Ineinander etwa von Vergangenheit, Gegenwart und
Zukunft; Spezifik entstünde dann sowohl in einer jeweiligen Differenzbestimmung
zwischen Vergangenheit (bzw. Erfahrung) und Zukunft (bzw. Erwartung) als auch
über den jeweiligen Grad der Verbegrifflichung dieses Geschehens. Man kann die
Verwissenschaftlichung und institutionelle Entwicklung einzelner Konstruktions-
Praktiken, etwa der Geschichtswissenschaft, in den Blick nehmen. Oder schließlich:
em kollektives ‘kulturelles Gedächtnis’ ansetzen, das Dauer repräsentiert und funda-
mentale soziale Implikationen (wie etwa die Produktion von Identität) impliziert.
Doch die Konstruktion von Vergangenheit stellt nicht zuletzt auch einen
Raum dar, in dem Belange einer spezifischen Gegenwart und ihrer konkreten
Akteure im Rahmen einzelner kommunikativer, institutioneller und politischer
Konstellationen ‘verhandelt’ werden. Sei es als ‘Mythos’, erzählte ‘Geschichte’,
‘Geschichtswissenschaft’, ‘Erinnerung’, ‘Tradition’ oder als in ‘Orten,’ Denkmälern,
Bildern sedimentiertes ‘Gedächtnis’: die Vergegenwärtigung des Vergangenen gehört
zu den zentralen kulturellen Praktiken, über die die Existenz und Gestalt politischer
Entitäten vermittelt wird, über die Legitimität, Interessen, Gegensätze, Ideologien
konzeptualisiert, verteidigt, delegitimiert werden. Macht, Herrschaft, politisches
Handeln existieren im Raum Europa selten ohne kulturelle Symbolik — und die
Produktion von Vergangenheit gehört zu ihren wichtigsten und komplexesten For-
men.
Eben diese Konstruktion von Vergangenheit im politischen Feld Europas
untersucht unser kulturwissenschaftliches Forschungsprojekt in interdisziplinären
Zugängen.
Uber den Fokus auf die Konstruktion von Vergangenheit als Moment des Poli-
tischen unterscheidet sich unser Projekt dabei bereits in der Logik des Interesses von
verwandten Ansätzen wie der ‘historischen Semantik’ der ‘Geschichte der
Geschichtswissenschaft’ oder dem ‘Gedächtnis’. Zu betonen ist für seine Zielsetzung
und methodischen Grundlagen ganz allgemein indes darüber hinaus, daß es
(1) über den — ‘neutralen’, ‘unmarkierten’ — Begriff der ‘Vergangenheit’ einen kul-
tur-wissenschaftlichen Erkenntnisraum eröffnet, in dem zumeist separat betrach-
tete Phänomene — Mythos, Geschichte, Geschichtswissenschaft, ‘Gedächtnis’
oder ‘Erinnerung’ — gemeinsam diskutiert werden.
 
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