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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2004 — 2004

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I. Das Geschäftsjahr 2004
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Antrittsreden
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Wenzel, Friedemann: Antrittsrede vom 31. Januar 2004
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https://doi.org/10.11588/diglit.66960#0111
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Friedemann Wenzel

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erinnerte an eine Familie, an die Anschluß zu finden ganz einfach war. Man hatte
sehr schnell einen HiWi-Job und nahm an Feldexperimenten teil. Heute wäre die
Anfängerzahl von dreien em Alptraum - damals war es traumhaft. Bereits im zwei-
ten Semester war ich allem, weil meine Kommilitonen vor den vermeintlichen
Schrecken der Analysis kapituliert hatten und der Physik und Geophysik den
Rücken gekehrt hatten. Ich nahm mir während des Studiums einige Zeit, um in der
— wie man damals sagte — verfassten Studentenschaft zu arbeiten.
Neben dem Elternhaus und den anderen Bedingungen, unter denen ich her-
anwuchs, haben mich sicherlich die zwei längeren Aufenthalte im Ausland erheblich
geprägt. Dass solche Aufenthalte auf mich zu kommen würden, war natürlich mein
Wunsch. Wie schon angedeutet, hatte die Motivation, Geophysik zu studieren,
immer mit der Lust auf und der Sehnsucht nach fremden Ländern und den Reisen
dorthin zu tun. Während des Studiums in Karlruhe, ganz zu Anfang bei dem ver-
storbenen Stefan Müller, dann bei Karl Fuchs, wurde mir schnell klar, dass man als
Geophysiker gar nicht anders konnte. Wir nahmen als Studenten noch vor dem Vor-
diplom an internationalen Messprogrammen teil. Wir hatten am Institut ständig
Gäste aus den USA, europäischen Staaten und damals recht exotisch erscheinenden
Ländern wie Russland und China zu Besuch. Interdisziplinarität wurde groß-
geschrieben. Das Studieren in einem solchen Klima prägt. Später merkte ich, dass
nicht alle deutschen Institute dieses internationale Flair entwickeln konnten oder
wollten. Umso dankbarer bin deshalb Stefan Müller und Karl Fuchs, die Geophysik
in Karlsruhe spannend gemacht zu haben.
1979 ging ich als Research Scientist an die Columbia Universität in New York,
genauer an deren Lamont Doherty Geological Observatory, das etwas außerhalb der
Stadt liegt, im Norden, am Hudson River. Jeden Tag fuhr ich mit Duke Ellingtons
berühmtem ‘A train’ von Downtown Manhatten, wo ich wohnte, an die George
Washington Bridge und dann weiter nut dem Bus nach Lamont. Der Sprung in die
kreative, an- und aufregende Forschungsszene in Lamont war ein enormer Gewinn.
Die Gruppe, in der ich arbeitete, führte marine seismologische Experimente mit
mehreren Schiffen durch. Die Schiffe konnten seimische Quellen betreiben und
zogen kilometerlange Antennen von Hydrophonen durchs Wasser. Wir erzeugten
einmalige Daten der Strukturen der Erde unter den Ozeanen, die prozessiert wer-
den mussten, für die Modelle gerechnet werden mussten und die interpretiert wer-
den wollten. Die Modellrechnungen, also die numerische Simulation der Ausbrei-
tung elastischer Wellen in der Erde, waren dabei meine Hauptaufgabe.
Nachts produzierten wir mit unseren Computern aus den Daten die neuesten
Bilder der ozeanischen Kruste sowie die zugehörigen Modelle und morgens disku-
tieren wir, wie die Ergebnisse besser gemacht werden könnten und was sie bedeu-
ten könnten. Die Kombination von aufwendiger Datenaquisition und numerischem
Modellieren führte z.B. zur Identifizierung von Magmakammern unter den mittel-
ozeanischen Rücken. Ich genoss die Interdisziplinarität von Lamont, wo viele Fach-
richtungen vertreten waren: Geologie, marine Biologie, Akustik, Geophysik, Geo-
chemie. Auch berühmte Leute waren leicht zu treffen, solche etwa, die die Platten-
tektonik mitbegründet hatten, wie Walter Pitman. Nachdem ich Lamont nach
 
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