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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2004 — 2004

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III. Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses: Das WIN-Kolleg
DOI Kapitel:
2. Forschungsschwerpunkt: Kulturelle Grundlagen der Europäischen Einigung
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https://doi.org/10.11588/diglit.66960#0260
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272 | FÖRDERUNG DES WISSENSCHAFTLICHEN NACHWUCHSES

Für die Aufgabenerfüllung auf internationaler Ebene ist es zunächst hinrei-
chend, wenn die Mitgliedstaaten durch ihre Regierungen diese Aufgaben gemein-
sam angehen und lösen. Zunächst herrschte dementsprechend weitgehend das Prin-
zip der Einstimmigkeit. Die einzelstaatliche Souveränität, und die im Einzelstaat
durch die Ausübung der Staatsgewalt durch das Staatsvolk hergestellte demokratische
Legitimation, blieben in vollem Umfang erhalten.
Ein Legitimitätsproblem entsteht, sobald es vermehrt Mehrheitsentscheidun-
gen substantieller Bedeutung auf supranationaler Ebene gibt. Die Staatsgewalt kann
nun gezwungen werden, eine Entscheidung, die sie selbst und das Staatsvolk ablehnt,
nach innen wirkungsmächtig werden zu lassen. Zugleich lässt sie es zu, dass Ent-
scheidungen eines durch das Staatsvolk nicht legitimierten Gesetzgebers unmittelbar
für das Staatsvolk wirksam werden (sie ,,öffnet“ die Staatsverfassung). Souveränität
und damit der Spielraum für demokratische Entscheidungen und Kontrolle, „ver-
schwindet“ .Volkssouveränität erfordert nun aber, dass alle Gewalt, die dem Staatsvolk
gegenübertritt, von diesem Staatsvolk legitimiert sein muss. Dies ist im Falle von der
EU ausgehender Entscheidungen im Moment nicht der Fall. Auch die Einrichtung
des Europäischen Parlaments hat daran nicht grundsätzlich etwas geändert, da dieses
keine gleichberechtigte Institution neben der durch das klassische Völkerrecht beein-
flussten Institution des Ministerrats ist. Zusätzlich ist das EP durch den Einfluss des
Prinzips gleichberechtigter souveräner Staaten auf die Anzahl der den einzelnen
Staaten zustehenden Mandate demokratisch defizitär. Nach der jetzigen Regelung
hat ein Wähler in Malta ein zwanzig Mal größeres Gewicht als em Wähler in
Deutschland. Vor diesem Hintergrund kann von einer demokratischen Legi-
timation des europäischen Staatenverbundes nur sehr eingeschränkt
gesprochen werden; es wird vielmehr versucht, das Defizit durch Formen
demokratischer Partizipation, die aus ihrem ursprünglichen Funktionszu-
sammenhang, wie er in demokratischen Staaten besteht, gelöst sind, zu
kompensieren.
Der Lösungsvorschlag geht dahin, auf der supranationalen Ebene eine zusätz-
liche demokratische Legitimation zu schaffen, damit dieses Defizit an Legitima-
tion überwunden wird. Aus praktischen Gründen (dazu 1.) ist eine Rückkehr zum
Souveränitätsprinzip ebenso ausgeschlossen wie die Übertragung aller Staatlichkeit
auf die supranationale Ebene, also die „Vereinigten Staaten von Europa“. Die EU soll
weiter unter Wahrung der Souveränität der Einzelstaaten nach dem Prinzip der
begrenzten Einzelermächtigung funktionieren. Daraus ergibt sich die Notwendig-
keit einer zweifachen Legitimationsgrundlage, die sich institutionell in verschiede-
nen Organen darstellen muss.
Der erste der beiden Legitimationsstränge ist der demokratische: Hierbei ist
bisher das Hauptproblem, dass es an einem europäischen Staatsvolk mangelt, auf wel-
ches sich die europäische Staatsgewalt zurückfuhren lässt. Dieses heißt jedoch nicht,
dass aus diesem Grund demokratische Legitimation nicht möglich ist. Der Demos
wird entsprechend dem Prinzip der mitgliedstaatlichen Souveränität durch die Sou-
veräne der Mitgliedstaaten, die Staatsvölker gebildet. Demokratie muss hier durch
eine gleichberechtigte Beteiligung der Staatsrö/feer entsprechend ihrer Bevölkerungs-
 
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