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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2005 — 2006

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I. Das Geschäftsjahr 2005
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Sitzung der Phil.-hist. Klasse am 18. Februar 2005
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Weinfurter, Stefan: Eine "gratiale Herrschaftsordnung" im Mittelalter?
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https://doi.org/10.11588/diglit.67593#0049
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SITZUNGEN

die Geschichte der Kommission. Die Klasse spricht sich dafür aus, die Balkan-
Kommission aufzulösen und die wissenschaftliche Begleitung von Forschungen
über den Balkanraum einer Institution zu empfehlen, deren Aufgabenkreis
ohnehin den südosteuropäischen Raum einschließt.

WISSENSCHAFTLICHE SITZUNG
Herr Stefan Weinfurter hält einen Vortrag: „Eine ‘gratiale Herrschaftsordnung’ im
Mittelalter?“.
In einer Lehrschrift {Tetralogus), die der Kaiser Heinrich III. (1039—1056) als junger
Herrscher von seinem Lehrer Wipo erhielt, lautet einer der Merkverse: „Das Gesetz
lehrt zu gehorchen, die Gnade aber zeigt, wie man herrscht“ (Lex servire docet, domi-
nari Gratia monstraf). Schon bei Heinrichs Vater, Kaiser Konrad II. (1024-1039),
konnte Wipo diese Tugend lobend hervorheben. Dieser habe 1024 sogar seine
Königsweihe unterbrochen, um einem Bittsteller Gnade und Gerechtigkeit zu ver-
schallen. Dies sei ihm wichtiger gewesen, „als die Eile zur Königssalbung. Größer
war das Streben des Königs nach Barmherzigkeit als sein Verlangen nach der Weihe“.
Und Wipo fügte hinzu: „Er stärkte sich mit der Tugend der Gnade (gratiae bonum),
bevor er zum Richterstuhl emporstieg (...) und verzögerte seine Weihe um der Ehre
des Königtums willen“. Die Ehre des Königs entstand aus seiner Gnade: Das war die
Botschaft dieser Worte.
Gnade und Barmherzigkeit galten in dieser Zeit, im 10. und 11. Jahrhundert,
als Haupttugend des Königs. Sie befähigten ihn zum Herrschen. Mit dem „Instru-
ment“ der Gnade war es ihm möglich, die Vielfalt der Interessen, der Ansprüche, der
Standpunkte, der Besonderheiten der jeweiligen Voraussetzungen, der Ehr- und
Gerechtigkeitsvorstellungen in der Gesellschaft zu steuern. Für dieses „Gnaden-
instrument“ gab es keine geschriebene „staatliche“ Ordnung. Allein das Gesetz
Gottes bildete die Grundlage. Die Heilige Schrift war gleichsam das „Grundgesetz“
dieser Zeit. Aus ihr konnte der Herrscher die Vorbilder und Anleitungen für sein
Handeln und seine Entscheidungen gewinnen.
Er stützte sich dabei nicht nur auf die Schrift Gottes, sondern auch auf die
göttliche Autorität. Als Stellvertreter des himmlischen Königs auf Erden war er
diesem für die gesamte Ordnung in Kirche und Welt — zusammengefaßt als „Haus
Gottes“ (domus dei) - verantwortlich. Der König verkörperte damit nicht das Reich
oder gar den „Staat“, sondern die Macht, die ihn einsetzte und der gegenüber er sich
zu verantworten hatte. Er selbst partizipierte an der Heiligkeit des himmlischen
Königs. Seine „sakrale“ Stellung wurde durch die kirchliche Salbung bei der Königs-
einsetzung sichtbar gemacht. Durch sie wurde er von Gott selbst eingesetzt und mit
bestimmten Zeichen, den königlichen Insignien, „investiert“. Damit war ihm auch
die Autorität gegeben, die Gnade wie der himmlische König anzuwenden.
Im Jahre 1181 brach diese Ordnung zusammen. Herzog Heinrich der Löwe
war gestürzt worden. Kaiser Friedrich Barbarossa (1152—1190) hatte seinen Anteil
und seine Interessen daran, aber der entscheidende Impuls ging von den Fürsten aus.
 
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