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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2005 — 2006

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I. Das Geschäftsjahr 2005
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Gesamtsitzung am 16. Juli 2005
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Verleihung des Akademiepreises an Manuela Niesner
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Niesner, Manuela: Wer mit juden well disputiren. Deutschsprachige Adversus-Judaeos-Literatur des 14. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.67593#0070
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16. Juli 2005

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Alters von der Kirchenväterzeit bis ms 14. Jh. Die Art der Quellenverarbeitung reicht
von der vollständigen, mehr oder weniger getreuen Übersetzung der Vorlage bis zur
freien Bearbeitung gezielt ausgewählter Auszüge in neuem Kontext und mit verän-
derter Funktion. Mit einer Ausnahme sind alle diese Texte anonym überliefert und
können aufgrund kodikologischer, sprachlicher und anderer Indizien lediglich unge-
fähr datiert und lokalisiert werden. Sie stammen alle aus dem Süden des deutschen
Sprachraums. Drei von ihnen, die im Rahmen der Untersuchung auch ediert wer-
den konnten, lassen sich dem anonymen ‘Österreichischen Bibelübersetzer’ zuwei-
sen. Er übertrug in der ersten Hälfte des 14. Jhs. die Evangelien und darüber hinaus
große Teile des Alten Testaments ms Deutsche und schuf damit das bei weitem
umfangreichste Bibelübersetzungswerk, das uns bis dahin bekannt ist; es gilt nicht
nur aufgrund seiner quantitativen Dimensionen, sondern auch aufgrund seiner her-
ausragenden Qualität als die bedeutendste deutsche Bibelübersetzung vor Luther.
Die harmonisierten Evangelienperikopen werden von umfangreichen Auslegungen
begleitet, die insbesondere das für das Mittelalter zentrale geistlich-allegorische Ver-
ständnis der Heiligen Schrift den Laien nahezubringen versuchen. Diese Kommen-
tare des Österreichischen Bibelübersetzers zu seinem Evangelienwerk waren neben
den drei Adversus-Judaeos-Schriften des Autors ebenfalls Gegenstand der Unter-
suchung, da in ihnen die antijüdische Argumentation breiten Raum einnimmt.
Die Vorlagen, die den deutschen Adversus-Judaeos-Texten zugrunde liegen,
stützen sich in erster Linie auf die christologische Exegese der Propheten, der Psal-
men und des Pentateuchs, die in der lateinischen Adversus-Judaeos-Literatur bereits
eine lange Tradition hatte und in der Forschung zum Teil als stereotyp und „old-fas-
hioned“ angesehen wurde und wird. Doch diese Bewertung entspricht offensicht-
lich nicht der der mittelalterlichen Zeitgenossen: Noch im Spätmittelalter wurden
nicht nur die älteren lateinischen Adversus-Judaeos-Texte dieses Typs weiter tradiert,
es wurden auch neue Schriften auf der Grundlage dieser Methode verfaßt, die z. T.
— nach der Zahl der erhaltenen handschriftlichen Kopien zu urteilen — außer-
ordentlich großen Erfolg hatten. Und schließlich bezeugen die deutschsprachigen
Adversus-Judaeos-Texte, die die in der lateinischen Tradition altbekannten Themen
und Argumente einem neuen Publikum erschließen, ein aktuelles Interesse auch und
gerade in laikalen Kreisen an Gegenstand und Methodik der verarbeiteten Vorlagen.
Obwohl die deutschen Adversus-Judaeos-Texte des 14. Jhs. in einem Zeitraum dra-
matisch zunehmender, ja katastrophal eskalierender christlicher Judenfeindschaft ent-
standen, sind sie zumeist nicht von aggressiver Polemik geprägt. Eine Ausnahme bil-
det allerdings der Traktat ‘Von der Juden jrrsall’ des Österreichischen Bibelüberset-
zers, in dem der Autor den Versuch unternimmt, die Juden zu Häretikern zu erklären
und sie dadurch dem Zugriff der Inquisition auszuliefern. Den Ansatzpunkt für den
Häresievorwurf glaubte der österreichische Anonymus im Talmud zu finden, den er
als eine von Gotteslästerungen, Lügenmärchen, unsinnigen Vorschriften und falschen
Bibelauslegungen überquellende Schrift darstellt, die von den Juden höher geschätzt
werde als das mosaische Gesetz. Der Zweck der übrigen untersuchten Texte bestand
jedoch nicht in antijüdischer Agitation, sondern in der argumentativen Verteidigung
christlicher Glaubensvorstellungen gegen jüdische Einwände. Damit bezeugen diese
 
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