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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2005 — 2006

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I. Das Geschäftsjahr 2005
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Kühlmann, Wilhelm: Arthur Henkel (13.3.1915 - 4.10.2005)
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Henkel zu berichten wußte, von den Nazis vereitelt, so daß er 1943/44 auf ein Lek-
torat für deutsche Sprache nach Paris wechselte. Wer Henkel kannte, erfuhr, daß er
schon früh einem evangelischen Bibelkreis angehörte, gern als Lektor nach Schwe-
den gegangen wäre und der NS-Ideologie trotz zeitweiliger Parteimitgliedschaft (seit
1940) kritisch gegenüberstand. Die Marburger Spruchkammer stufte ihn 1947 nicht
nur als „entlastet“ ein, sondern bescheinigte ihm auch, daß er durch das Regime
Schaden erlitten hatte.
Der geistige Neubeginn nach 1945 bot in Marburg, der Heimatstadt, die
Möglichkeit der Habilitation (1952), der eine außerordentliche Professur in
Göttingen (1956), 1957 der Ruf nach Heidelberg und bald darauf eine erfolgreiche
Lehrpraxis folgten. Henkels Habilitationsschrift über das Thema der „Entsagung“
in Goethes Altersroman „Wilhelm Meisters Wanderjahre“ (1954) wurde bald zu
einem Standardwerk. Um Goethe kreisten in der Folgezeit viele Vorträge, teils eher
zusammenfassender Art, teils auf akribische Forschung hin angelegt. Manche dieser
später gesammelten Vorträge, die sich auch großen Autoren wie Kleist, Kafka,
Rilke und Hofmannsthal widmeten, dazu eine bald berühmte Studie zu Goethes
„Wanderers Sturmlied“ (1962) liest man weiterhin mit Gewinn. Daß ihm auch
die vorausgehenden Epochen jede Aufmerksamkeit wert waren, bezeugt allein schon
das mit Albrecht Schöne herausgegebene monumentale Handbuch über die
Sinnbildkunst der Frühen Neuzeit („Emblemata“, 1967, mehrere Neuausgaben).
Ihm traten zur Seite die mehrbändige Edition des schwierigen Hamann-Brief-
wechsels sowie Neuausgaben von Werken aus der Feder Johann Heinrich Mercks
und Julius Wilhelm Zmcgrefs. Henkels Leistungen wurden anerkannt, führten ihm
nach und nach eine illustre Schülerschar zu, brachten mancherlei Ehrungen mit sich
und bewirkten, daß er in wichtige Gremien des Fachs gewählt wurde.
Henkel war Hermeneut, und die Verstehenslehre Hans-Georg Gadamers, des
Heidelberger Freundes und Kollegen, war ihm auf den Leib geschrieben. Dabei
erwuchsen bei ihm aus der intuitiven Einsicht und ‘musischen’ Bewegtheit immer
auch die genaue historische Diagnose und die philologische Arbeit am gegebenen
Text. Henkel war fasziniert vom schöpferischen Subjekt und dachte in Rangord-
nungen. So verwundert es nicht, daß Henkel die Studentenbewegung und den daran
anschließenden wissenschaftlichen Bildersturm als „Verheerung“ empfand. Das
bewies damals eine beachtliche Konsequenz der geistigen Haltung und eine unver-
kennbare Abscheu vor intellektueller Opportunität. Auch da, wo Henkels Forschun-
gen das Spezielle oder gar das scheinbar Entlegene einbezogen, vertraute er auf die
Kraft seiner Sprache, die den Gegenstand nicht im Wissenschaftsjargon verfremdete.
Annäherungen an den Text, an ein Problem, an einen Zusammenhang waren ihm
Versuche des Verstehens, in das er sein Publikum einbezog. Das literarische Detail,
die Nuance des Wortlauts verlockten ihn zu Abenteuern der Erkenntnis, die sich
auch den Luxus gelegentlicher Eskapaden und Exkursionen leisten wollte. Vielleicht
über Kommerell wird Henkel deutlich geworden sein, daß Kunst im gelungenen
Wort oder in der Erscheinung des Schönen vom Gebot der Wahrheitserkenntnis
nicht zu dispensieren ist, eine Erkenntnis, die letzthin auch moralische Fragen an den
Interpreten in sich birgt. So kommt es, daß Henkels wissenschaftliche Prosa die
Frageform liebte, die Wegsuche des Lesers bewußt nachvollzog.
 
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